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Entsetzen nach Störaktion in Wiener Kirche

Antonskirche in Wien.
Antonskirche in Wien.Die Presse/ Fabry
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Muslimische Verbände verurteilen den islamistisch motivierten Angriff auf die Antonskirche vergangene Woche. Soziologe Kenan Güngör sieht in der Aktion ein Spiel mit religiöser und nationalistischer Kränkung.

Wien. „Man muss da vorsichtig sein“, sagt Kenan Güngör, „denn man weiß noch wenig über die Hintergründe.“ Doch der Integrationsexperte und Leiter des Forschungsbüros think.difference sieht in den Angriffen muslimischer Jugendlicher auf die Antonskirche in Favoriten vom Donnerstagabend ein Muster. „Wir haben in Favoriten ein gewisses Milieu von nationalistischen Tschetschenen und Türken.“ Das habe man zuletzt etwa schon bei den Angriffen auf Kurdendemos gesehen.

Und diese interethnische Gruppe habe sich zusammengetan, quasi als islamische Glaubensbrüder. Und rund um die jüngste Debatte über Mohammed-Karikaturen lasse man die Wut darüber hinaus, dass der Prophet gekränkt worden sei. Eine Organisation im klassischen Sinn müsse da gar nicht dahinterstehen, so Güngör. Vielmehr gebe es eine „situative Organisiertheit“, also lockere Freundeskreise, die sich über Social Media organisieren. Und von denen durchaus auch ein gewisses Gewaltpotenzial ausgehe.

Die Grundlage für die Haltung, dass man in Freund-Feind-Schemata denke, werde aber meist schon in den Familien gelegt. Das werde oft – bewusst oder unbewusst – weitergegeben. Es werde nicht vermittelt, dass Dinge wie die Mohammed-Karikaturen nicht gegen Muslime gerichtet seien, sondern es zur westlichen Kultur gehöre, dass man eben alles durch den Kakao ziehe. „Und die Eltern erklären den Kindern nicht, dass das nicht gemacht wird, um den Propheten zu kränken.“

Werden Jugendliche mit dieser Semantik geprägt, komme es dann manchmal eben dazu, dass sie diese Logik noch zusätzlich zuspitzen– gerade rund um Ereignisse wie zuletzt in Frankreich. „Das kann dann diesen Effekt haben, wie wir es zuletzt gesehen haben“, so Güngör. „Ihre Eltern sind dann oft selbst erschrocken darüber.“

Dass die rund 30 bis 50 Jugendlichen am Freitag die Antonskirche gestürmt, randaliert und islamistische Parolen skandiert haben, hat indes bei muslimischen Verbänden für erschütterte Reaktionen gesorgt. Ümit Vural, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), versicherte Wiens Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, in einem Telefonat seine Solidarität.

Er verurteilte die Aktion – es mache keinen Unterschied, ob eine Kirche oder eine Moschee angegriffen werde, „der Friede in unserer Gesellschaft“ dürfe nicht gefährdet werden. „Allahu akbar schreien und ein Gotteshaus stürmen ist unfassbar und nicht hinzunehmen“, sagte Ramazan Demir, Imam und Dozent an der Kirchlich Pädagogischen Hochschule. Er nahm auch teil an einer Mahnwache, die die IGGÖ vor der Antonskirche organisiert hatte.

Erzdiözese will Aufklärung

In der Erzdiözese Wien hofft man auf Aufklärung, wer hinter den Attacken steckt. Rund um die Kirche St. Anton habe es seit rund zwei Wochen eine verstärkte Wahrnehmung von Belästigungen durch eine Jugendbande gegeben, sagte Diözesansprecher Michael Prüller. „Nicht nur die katholische Pfarrkirche, auch andere Institutionen im Grätzel haben schon schlechte Erfahrungen gemacht.“ Man hoffe, dass die Polizei das Problem rasch in den Griff bekomme.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2020)

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