Die Ich-Pleite

Tröstliches im heurigen Jahr

(c) Carolina Frank
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2020 ist kein gutes Stinkkäferjahr, zum Beispiel.

Nicht alles an 2020 ist schlecht. Zum Beispiel soll es ein gutes Weinjahr werden. Auch die Pilzesammler sind mit dem Jahr zufrieden, liest man. Jetzt fänden sie im Wald noch Steinpilze, Eierschwammerl, Rauchblättrige Schwefelköpfe und Stockschwämmchen, erzählen sie sich gegenseitig in ihren Foren. Sogar im Winter könne man mit etwas Glück noch Samtfußrüblinge oder Austernseitlinge sammeln. Vielleicht ein Ersatz für die vielen geschlossenen Punschstandln?

Apropos Tröstliches im heurigen Jahr: 2020 ist kein gutes Stinkkäferjahr. Seit ich die Stinkkäfer vulgo Stinkwanzen vulgo Baumwanzen vor drei, vier Jahren kennengelernt hatte, waren es noch nie so wenige. Ich weiß nicht, ist es das Klima, der Mensch oder Lebensüberdruss. Vielleicht angesteckt durch die allgemeine depressive Coronastimmung. Dabei hätte ich mich inzwischen schon an sie gewöhnt. Sicher, sie sind nicht so hübsch wie Marienkäfer, aber immerhin lassen sie sich leichter fangen als Fliegen und stechen weniger als Gelsen. Sie riechen nur unangenehm, wenn sie Stress haben. Zum Beispiel, wenn ich eine Tasse über sie stülpe und sie befürchten, ihr letztes Stündlein habe geschlagen. Dabei hätten sie bei mir nichts zu befürchten. Ich will sie ja nur ins Freie entlassen. Ich nehme es nicht persönlich. Es fehlt ihnen eben an Weitblick.

Warum soll es ihnen besser gehen als uns? Der Stressgeruch, finde ich, macht sie auch ein bisschen menschlich. Nur, dass der Mensch über Deos verfügt. Manche verwenden sie auch. Ich persönlich habe sowieso nichts gegen Stinkwanzengeruch. Ja, ich würde sogar sagen, der Stinkwanzengestank ist Parfum in meiner Nase. Je mehr Coronafälle pro Tag registriert werden, desto mehr.

(Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 30.10.2020)

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