Terrornacht

Eingesperrt in den Kulturtempeln

Burgtheaterdirektor Martin Kušej sprach zu seinem Publikum, während das Haus abgeriegelt wurde.
Burgtheaterdirektor Martin Kušej sprach zu seinem Publikum, während das Haus abgeriegelt wurde. APA/BURGTHEATER/LUKAS BECK
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Spontane Publikumsgespräche, Zugaben, ein extra Streichquartett: In den Bühnenhäusern der Innenstadt saß das Publikum am Montagabend stundenlang fest.

Irgendwann griffen sie dann erneut zu ihren Instrumenten. Es war eine schöne Geste, mit der vier Orchestermusiker – davon zwei Philharmoniker – dem Publikum, das in der Terrornacht nach der Aufführung in der Wiener Staatsoper festsaß, das Warten und Bangen erleichterten: Spontan formierte sich ein Streichquartett, der Geiger Dominik Hellsberg suchte Mitstreiter, aus den Noten, die er zufällig dabei hatte, wählten sie kurzerhand Haydns Kaiserquartett aus. „Es hat sich so ergeben, als wir wartend herumgesessen sind“, erzählt der Wiener Bratschist Martin Lemberg. Zur Auswahl wären auch Mozart-Quartette gestanden, doch die Wahl fiel ad hoc auf das Stück, das das Publikum am besten kennen dürfte: Enthält der zweite Satz von Haydns Quartett doch Variationen der Kaiserhymne (und damit zugleich der deutschen Nationalhymne).

Während die 1000 Opernbesucher also in den Pausenräumen und im Saal ausharrten, richteten sich die vier Streicher, die noch nie in dieser Konstellation musiziert hatten, im Orchestergraben ein und begannen zu spielen. In den sozialen Netzwerken werden sie für ihre Aktion gefeiert, im Saal sorgten sie für willkommene Zerstreuung: Wo eben noch hörbar auf Handys Nachrichten verfolgt wurden, wurde es plötzlich leiser, berichtet Lemberg, zwischendurch brach Applaus aus. Fertig wurde das Streichquartett nicht: „Mitten im Trio des Menuetto kam dann die Durchsage vom Direktor, dass man raus kann.“ Mit einem der bereitgestellten U4-Züge fuhr gegen Mitternacht auch Lemberg nach Hause.

Der letzte Abend vor der nächtlichen Ausgangsbeschränkung, den viele Wiener nutzen wollten, um noch einmal live Kultur zu erleben, endete in einigen Bühnenhäusern der Innenstadt mit einer ungeahnten Form eines Lockdowns. Auch das Burgtheater wurde nach der Vorstellung von „Das Himmelszelt“ abgeriegelt. Direktor Martin Kušej, der eigentlich anlässlich der bevorstehenden Theaterschließung zum Publikum sprechen wollte, informierte es stattdessen, sichtlich um Fassung ringend, über die Schüsse im ersten Bezirk. Kurz darauf wurden die Buffets geöffnet und Wasser verteilt, später wurden auch Brezeln aufgetaut. „An jedem Fenster stehen Leute und blicken auf die blinkenden Polizeiautos am Ring. Manche halten sich fest im Arm“, berichtet „Presse“-Redakteurin Stefanie Kompatscher, die im Publikum war.

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