Analyse

Die zynische Strategie der IS-Jihadisten

Ende des „Kalifats“. Ein kurdischer Kämpfer entfernt in Nordsyrien eine IS-Flagge. Seit der militärischen Niederlage setzen die IS-Jihadisten verstärkt auf Attentate.
Ende des „Kalifats“. Ein kurdischer Kämpfer entfernt in Nordsyrien eine IS-Flagge. Seit der militärischen Niederlage setzen die IS-Jihadisten verstärkt auf Attentate.APA/AFP/DELIL SOULEIMAN
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Seit der Niederlage seines „Kalifats“ setzt der IS verstärkt auf Attentate. Er will damit Angst verbreiten und Gesellschaften spalten.

Wien. Es ist eine totalitäre Ideologie, die keinen Raum lässt für Andersdenkende. In ihr vermischt sich die politische Utopie von der Schaffung eines „reinen islamischen Staates“ mit bizarren Endzeitfantasien einer Entscheidungsschlacht zwischen „Gut gegen Böse“. Jeder, der diesen Weg nicht mitgehen will, soll vernichtet werden. Auch alle anderen Muslime, die diese Ideologie nicht teilen, werden als „Ungläubige“ bekämpft. Die Extremistenorganisation Islamischer Staat (IS) zählt zu den radikalsten Strömungen des sogenannten Jihadi-Salafismus. Und der Attentäter, der in Wien ein Blutbad angerichtet hat und von der Polizei getötet worden ist, war Sympathisant des IS. Am Dienstagabend reklamierte die Organisation über ihren Nachrichtenkanal Amaq die Tat für sich.

Entstanden in den kriegerischen Wirren im Irak und Syrien gelang es dem IS, sein eigenes Reich zu errichten. Das „Kalifat“, das die Jihadistenorganisation 2014 ausgerufen hatte, erstreckte sich über weite Teile beider Länder. Es wurde Anziehungspunkt für Extremisten aus aller Welt. Viele dieser sogenannten Foreign Fighters, die ins „Kalifat“ zogen, stammten aus Europa – auch aus Österreich. Es handelte sich dabei meist um junge Männer und Frauen, die in europäischen Ländern geboren wurden. In vielen Fällen stammten sie aus eigentlich wenig religiösen muslimischen oder auch aus christlichen Familien. Nach ihrer Radikalisierung versuchten sie, Teil des jihadistischen Staatsprojektes in Syrien und im Irak zu werden.

Bis zu 10.000 Kämpfer

Mittlerweile existiert das „Kalifat“ des IS nicht mehr. Es wurde militärisch zerschlagen. Der letzte Rückzugsort der Jihadisten im Ort Baghuz im Osten Syriens fiel im März 2019 bei einer Offensive kurdischer Kämpfer und amerikanischer Eliteeinheiten. Ende Oktober 2019, vor fast genau einem Jahr, wurde dann IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi in Nordwestsyrien von US-Spezialkräften getötet.

Nach dem Ende seines Terrorstaates tauchte der IS in den Untergrund ab. Seither konzentriert er sich auf alte Taktiken: Überfälle aus dem Hinterhalt und Sprengstoffattentate in Ländern wie Syrien und dem Irak. Und Terroraktionen einzelner Anhänger und Kommandos in Europa. Schon in den letzten Monaten des „Kalifats“ rief die IS-Führung ihre Sympathisanten in Europa dazu auf, nicht mehr nach Syrien zu reisen, sondern Anschläge in ihren eigenen Ländern zu verüben.

In den vergangenen Monaten haben die Jihadisten ihre Aktivitäten in Syrien und im Irak verstärkt. Schätzungen zufolge soll der IS dort nach wie vor über bis zu 10.000 Kämpfer verfügen, die zum Teil in wenig besiedelten Gebieten in Ostsyrien ihr Unwesen treiben.

Bereits in den ersten Wochen der Coronapandemie vor einem halben Jahr berichteten Organisationen wie die SITE Intel Group, die Botschaften der Extremisten im Internet beobachtet, von vermehrten Aufrufen zu Anschlägen: Das Coronavirus sei die „Strafe Gottes“ für die Feinde, so die Jihadisten. Nun müsse das schon vorherrschende Angstgefühl in Europa und den USA weiter verstärkt werden. Zuletzt soll der Ton in den Internetforen der Extremisten und ihrer Sympathisanten noch aggressiver geworden sein.

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