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Wie man am Tag nach dem Anschlag regiert

Gemeinsam schweigen: Vertreter der Regierung mit den Chefs der Parlamentsparteien und dem Bundespräsidenten.
Gemeinsam schweigen: Vertreter der Regierung mit den Chefs der Parlamentsparteien und dem Bundespräsidenten.APA/BKA/DRAGAN TATIC
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Zuerst schwieg das offizielle Österreich gemeinsam. Danach sprach man die zentrale Botschaft (beinahe) geeint aus: Der Anschlag trifft mitten ins Herz. Um die Wunden zu heilen, dürfe sich die Gesellschaft aber nicht auseinanderdividieren lassen.

Das offizielle Österreich hat am Tag danach eine heikle Aufgabe: Worte dafür finden, was viele sprachlos macht. Ruhe schaffen, wo Verunsicherung herrscht. Zunächst entschied sich also die Spitze der Republik, gemeinsam zu schweigen. Um zwölf Uhr kamen Bundespräsident Alexander Van der Bellen, das Nationalratspräsidium und auch die Chefs der Parlamentsklubs im Bundeskanzleramt zusammen. Eine Gedenkminute für all die Opfer des Terroranschlags wenige Stunden zuvor, wenige Hundert Meter entfernt.

Danach besuchten sie gemeinsam den Tatort, der zum Gedenkort werden sollte. Drei Kränze wurden abgelegt, wo die Polizei zuvor noch die Szenen am Boden nachgezeichnet hatte. Van der Bellen, Bundeskanzler Sebastian Kurz, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (beide ÖVP) traten zuerst vor. Mit Mund-Nasen-Schutz und Abstand, Österreich hat ja auch noch einen anderen Feind, das Coronavirus.

Danach legten die Zweite Nationalratspräsidentin, Doris Bures, Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (beide SPÖ) und die Klubchefs eine weiße Rose auf das Steinpflaster. Später wird Innenminister Karl Nehammer davon sprechen, dass der Ort besonders still war. So, wie er ihn noch nie gesehen hatte. „Jeder Wiener, jede Wienerin weiß: Normalerweise ist das einer der vergnüglichsten Orte.“

Der Appell des Bundeskanzlers

Das gemeinsame stille Gedenken war eine symbolische Botschaft. Nachher sprach sie das politische Wien auch direkt aus. Zunächst Kurz, in einer direkten TV-Ansprache an die Bevölkerung. Er gedachte zuerst der Verstorbenen: „Wir werden die Opfer des gestrigen Abends nie vergessen.“ Ein älterer Herr, eine ältere Dame, ein junger Passant und eine Kellnerin seien „ganz plötzlich und unerwartet aus dem Leben gerissen worden“. Kurz sprach das aus, was wohl viele vor ihm gedacht hatten: „Oft sehen wir Österreich als eine Insel der Seligen.“ Die traurige Wahrheit sei eine andere: „Auch wenn wir das Glück haben, in einem grundsätzlich sicheren Land zu leben, leben wir leider nicht in einer sicheren Welt.“

Dann folgte der Appell, den das politische Österreich (beinahe) geeint vermitteln wird: „Es ist ein Anschlag, der in Wahrheit uns allen gegolten hat, ein Anschlag auf unsere freie Gesellschaft.“ Klar sei: „Wir werden uns von den Terroristen nicht einschüchtern lassen und unsere Demokratie mit aller Kraft verteidigen.“

„Aber gleichzeitig“, sagt Kurz, „werden wir eines nicht tun: Wir werden nicht in deren Falle tappen.“ Der Terrorismus möchte die österreichische Gesellschaft spalten. „Und das werden wir nicht zulassen. Wir werden diesem Hass keinen Raum geben.“

Die Feinde, das seien die Extremisten und Terroristen. Aber „niemals alle Angehörigen einer Religionsgemeinschaft oder aus einem bestimmten Land“. Es gebe auch keine Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslimen, Österreichern und Migranten. „Nein, das ist ein Kampf vieler Menschen, die an Frieden glauben, und einiger weniger, die sich Krieg wünschen.“

Präsident spricht mit Wien

Van der Bellen musste, ähnlich wie die Regierungsspitze, seine zweite große Rede an die Bevölkerung halten. Dieses Mal war der Feind aber weniger abstrakt, es ging nicht um die Pandemie. Sondern um einen „feigen, terroristischen Akt“, eine „dunkle, eine schreckliche Nacht“.

Auch Van der Bellen gab sich kämpferisch, in seiner staatstragenden, ruhigen Art. Der Terror wolle verunsichern und Hass säen. „Aber auf dem Boden, auf dem wir stehen, ist durch die Jahrhunderte zu hart um Freiheit und Toleranz gerungen worden, als dass wir jetzt klein begeben werden.“ Und: „Wer das annimmt, der kennt uns schlecht.“

Auch Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) richtete der Bevölkerung aus: „Österreich steht auf festem, demokratischem Fundament. Das ist die beste Ansage an Extremismus.“

Und die restlichen Parteien? Auch sie wählten an diesem Tag der Unruhe die Deeskalation – und beschworen den Zusammenhalt. „Wir werden jetzt umso mehr unsere Werte verteidigen“, sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Jetzt müssten die Behörden in einem ersten Schritt die Hintergründe der Tat klären. Erst dann könne man politische Schlüsse daraus ziehen. Beate Meinl-Reisinger (Neos) befand auch: „Heute ist nicht der Tag der politischen Debatte, heute ist der Tag des Zusammenstehens.“

Nur FPÖ-Chef Herbert Kickl sah das anders: Reine Betroffenheitsworte seien ihm nicht genug. „Ich hoffe, dass auch bei den Kritikern von gestern der Groschen gefallen ist.“ Die freiheitlichen Linien zur Einwanderungspolitik und zum Asylsystem seien bestätigt.

„Gesetze reichen nicht“

Nationalratspräsident Sobotka lud am Nachmittag zu einem Gespräch in sein (streng bewachtes) Büro, um seine Botschaft anzubringen: „Mehr denn je wird uns bewusst, was unsere Aufgabe ist.“ Denn: „Das Gesetz, die Verordnungen reichen nicht im Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und den politischen Islam.“ Man brauche „ein breites Bewusstsein in der Gesellschaft, die alles tun muss, um so ein Klima hintanzuhalten“. Es gebe zwei Aufgaben: „Gegen ein blindes Vorurteil gegen den Islam aufzutreten.“ Und: „Ein Bewusstsein schaffen, dass auch die islamische Glaubensgemeinschaft einen größeren Beitrag leistet, um in ihrer Gemeinschaft eine klare Haltung zu zeigen.“

Am späten Nachmittag sendeten die Vertreter der Religionsgemeinschaften gemeinsam mit der Spitze der Republik ein Zeichen: mit einem Trauergottesdienst im Stephansdom. Die Regierung beschloss auch eine dreitägige Staatstrauer: Bis inklusive Donnerstag werden öffentliche Gebäude entsprechend beflaggt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2020)

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