Neudeutungen

Jazz, der Zusammengehörigkeit vermitteln will

Jorja Smith lockt in ein Doppelalbum.
Jorja Smith lockt in ein Doppelalbum.
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Das ehrgeizige Projekt „Blue Note Re:Imagined“ verbindet auf selten glückhafte Weise Vergangenheit und Gegenwart des Jazz.

„I want you to get together“, so lauten die ersten Zeilen des modernen Blue-Note-Klassikers „Rose Rouge“, benannt nach einem einstigen Jazzclub in Saint Germain. Komponiert und mit reichlich Samples aus der klassischen Periode des Jazzlabels Blue Note gefüttert wurde es im Jahr 2000 von DJ Ludovic Navarre, der sich St. Germain nennt.

Diese Worte treffen dieser Tage, wo die Gesellschaft weltweit an vielen Ecken auseinanderdriftet, einen Nerv. Und so legte jetzt, 20 Jahre danach, die junge Jorja Smith eine mit nervösen Beats aufgefrischte Version von „Rose Rouge“ vor. Sie lockt in ein Doppelalbum von 16 Neubearbeitungen legendärer Stücke des Labels Blue Note, das 1939 von den aus NS-Deutschland emigrierten jungen Männern Alfred Lion und Francis Wolff gegründet wurde. Schon damals ging es darum, den authentischen Sound einer Jugend einzufangen. Lion und Wolff wurden dabei vorrangig im afroamerikanischen Jazz fündig.

Auf „Blue Note Re:Imagined“ hört man nun, wie sich die dritte Generation nach den Gründervätern an einer Ästhetik zu schaffen macht, die Komplexitäten viel Platz einräumt, aber nie auf den Groove vergisst. Gleich vier Künstler befassen sich mit den geheimnisvoll schimmernden Melodien von Wayne Shorter: Aus dem hintersinnigen „Footprints“ machte das Ezra Collective eine astreine Tanznummer, während Herbie Hancocks „Watermelon Man“ in der Version von Poppy Ajudha vom latinesken Floorfiller zur nachdenklichen Fusionnummer wird.

Von den jungen Künstlern der britischen Szene, die dieses Album realisierten, sind hierzulande nur Nubya Garcia und Shabaka Hutchings wirklich bekannt. Aber Berühmtheit tut nichts zur Sache, wenn es um Kreativität geht. Wie subtil Jordan Rakei „Wind Parade“, den souligen Donald-Byrd-Klassiker von 1975, auffrischt, ist durch und durch überzeugend.

Verschiedene Interpreten „Blue Note Re:imagined“
Verschiedene Interpreten „Blue Note Re:imagined“Blue Note/Universal

Zugang zu den Archiven von Blue Note

Die Ernsthaftigkeit, mit der die jungen Musiker ihre Neudeutungen realisierten, rechtfertigt im Nachhinein das Vertrauen des renommierten Jazzlabels Blue Note, das ihnen vollen Zugang zu den Archiven gestattete. Das Album begeistert nicht nur generationsübergreifend, es hält auch sowohl für konservative Hörer als auch für Freunde des Tumultarischen eine Vielzahl an Reizen bereit. Wunderbar glückte Yazmin Laceys rauchige Adaption von „I'll Never Stop Loving You“, einst mustergültig aufgenommen von Bluessängerin Dodo Green, die 1962 als erste Frau von Blue Note engagiert worden war.

Erfreulich auch, dass zu Lebzeiten leider unterschätzten Musikern wie dem Pianisten Andrew Hill und dem Vibrafonisten Bobby Hutcherson hier adäquat gehuldigt wurde. Hutchersons meditatives „Montara“ wurde besonders behutsam erneuert, auf seinem „Prints Tie“ klingt Saxofonist Shabaka Hutchings auf der Bassklarinette recht nachdenklich. Andrew Hills grüblerisches „Illusions“ erhält hingegen in der Version von Skinny Pelembe, zart rhythmisiert, eine träumerische Anmutung. Weitere attraktiv gegen den Strich gebürstete Klassiker: Herbie Hancocks „Maiden Voyage“, Joe Hendersons „A Shade of Jade“, McCoy Tyners „Search for Peace“. Selten ist der Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart so gut geglückt. Um die Zukunft des Jazz muss man sich keine Sorgen machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2020)

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