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Die Nacht der blutigen Bilder und der falschen Geiselnahme

Die ersten Minuten und Stunden nach einem Terroranschlag sind für klassische Medien oft die heikelsten.
Die ersten Minuten und Stunden nach einem Terroranschlag sind für klassische Medien oft die heikelsten. APA/AFP/JOE KLAMAR
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Oe24, die „Krone“ und einzelne Journalisten verloren in der Berichterstattung Maß und Ziel. Spar, Billa, Hofer und ÖBB reagieren mit Inseratestopp.

Die ersten Minuten und Stunden nach einem Terroranschlag sind für klassische Medien oft die heikelsten. Zu dieser Zeit gibt es wenige bis gar keine gesicherten Informationen, das Bedürfnis nach Aufklärung in der Bevölkerung ist groß. Es ist also die beste Zeit für billige Klicks und gute Einschaltquoten – aber auch für Falschmeldungen und die Verbreitung von sensiblen Inhalten.

In der Aufregung verloren einige Medien und einzelne Journalisten in der Nacht von Montag den Blick für das Wesentliche und Maß und Ziel in ihrer Berichterstattung. Allen voran Wolfgang Fellners TV-Sender Oe24. Dort wurden schon kurz nach der Tat in Dauerschleife unkommentiert Augenzeugen-Videos vom Täter und seinen Opfern gesendet (die später auch die deutsche „Bild“ übernahm). Auf einem Video sah man, wie ein Opfer aus kurzer Distanz mehrfach angeschossen, womöglich getötet wird. Andere zeigten die Rettung bei der Arbeit und ein Opfer in einer Blutlache. Dabei hatten Polizei und Innenministerium immer wieder auf mehreren Kanälen darum gebeten, keine privaten Videos und Fotos vom Einsatz zu teilen, da dadurch der aktuelle Einsatz gestört wird, aber auch, weil der Persönlichkeitsschutz der Opfer zu wahren ist und dem Täter keine Bühne gegeben werden soll.

Auch die „Krone“, Österreichs größte Boulevardzeitung, hielt sich auf ihrer Webseite krone.at nicht an die behördlichen Bitten und veröffentlichte einschlägige Fotos und Videos. Was für viel Kritik sorgte. Gerade diese beiden Medien erhalten besonders viel Presse- und Rundfunkförderung durch den Bund. Bis Dienstagvormittag gingen beim Österreichischen Presserat, dem freiwilligen Selbstkontrollorgan der Branche, rund 700 Beschwerden ein. Das sei „ein absoluter Negativrekord“. Auch die Regulierungsbehörde KommAustria will die Berichterstattung der beiden Medien rechtlich genau überprüfen. Schmerzhafter für die Kritisierten ist die Reaktion wichtiger Werbekunden: Billa hat „den Stopp unserer Werbeeinschaltungen“ bereits veranlasst. Auch Spar, Lidl und im Lauf des Tages die ÖBB, Hervis, net-at-home und Hofer kündigten einen Inseratestopp in den genannten Medien an.

Entschuldigung von Heute.at und Klenk

Für Kritik vor allem in den sozialen Netzwerken sorgte allerdings auch der als seriös und bestens mit der Polizei vernetzt geltende „Falter“-Chefredakteur, Florian Klenk. Da sich die Redaktion der Wochenzeitung in der Marc-Aurel-Straße, also unmittelbar neben einem der Tatorte dieser Nacht befand, die Redaktion außerdem Montagnacht Redaktionsschluss hat, bekamen Klenk und einige seiner Mitarbeiter die Vorgänge sehr nah mit. Klenk twitterte pausenlos teils ungesicherte Informationen über den Tathergang, eine Geiselnahme im Akakiko auf der Mariahilfer Straße (die sich als Falschmeldung herausstellte) und den falschen Namen des Attentäters. Er entschuldigte sich später via Twitter für das Verbreiten von Gerüchten, nicht aber für seine detaillierte Berichterstattung: „Im Stress der Nacht und auch im Schock der Ereignisse vor der Haustüre habe auch ich die Nachricht eines Polizisten an mich verbreitet. Die Quelle war seriös, die Nachricht war zum Glück falsch. Sorry.“

Auch die Redaktion von Heute.at entschuldigte sich dafür, das Gerücht der Geiselnahme verbreitet zu haben. Die einschlägigen Videos hatte sie aber nicht gezeigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2020)

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