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Pressestimmen

Wie europäische Medien auf die Terrorattacke in Wien reagieren

In ganz Europa blicken Menschen mit Entsetzen nach Österreich. Die Schlüsse, die Medien aus Europa daraus ziehen, sind sehr unterschiedlich. Eine Sammlung von Reaktionen.

"Corriere della Sera" (Mailand):

"Die Insel der Seligen existiert nicht mehr. An einem einzigen dramatischen Herbsttag hat die Stadt, die seit Jahren an der Spitze der weltweiten Rankings in Sachen Lebensqualität stand, ihre Unschuld verloren. Der Terroranschlag von Montag weckt Wien aus seinem Schlaf, die österreichische Hauptstadt ist jetzt im Visier des islamischen Terrorismus."

„Neue Zürcher Zeitung":

"Lassen sich solche Anschläge denn gar nicht verhindern, mögen manche fragen. Die bittere Antwort ist: nein. Seit den Anschlägen von 2001 hat die Bedrohung durch den Islamismus hohe Priorität im Westen - egal ob die Regierungen links sind oder rechts. Sie haben Programme gegen die Radikalisierung aufgelegt, und die Sicherheitsbehörden haben viele Mittel in die Überwachung der islamistischen Szene investiert. Dennoch gehen ihnen immer wieder Täter durchs Netz.

Zweifellos können die Staaten noch mehr tun, um der islamistischen Ideologie den Boden zu entziehen. Allzu oft nährt sie sich von sozialer Ausgrenzung, wirtschaftlicher Benachteiligung und dem Gefühl der Demütigung. Eine bessere Integration der Muslime ist hier wichtig. Ebenso wichtig ist es, zu verhindern, dass der IS in Syrien, dem Irak und anderen Ländern wieder erstarkt und aus dem Untergrund zurückkehrt. Hier sind Wachsamkeit und ein langer Atem gefragt."

"Bild" (Berlin):

"Im Angesicht des Terrors wird aus einer schlechten Welt eine gute Welt. Zwei türkischstämmige junge Wiener retteten eine ältere Frau und einen schwer verletzten Polizisten. Im Kugelhagel des Terroristen schleppen sie die Schwerverletzten in Sicherheit. Einer der jungen Männer wird angeschossen. Die beiden sind wunderbare Menschen. Sie haben in der Nacht des Leids Menschen geholfen. Neben der schlechten Welt gibt es eine gute Welt. Das ist die Botschaft der beiden Jungs."

"Tages-Anzeiger" (Zürich):

"Die Tat vom Montag trägt dazu bei, das Klima in Österreich nachhaltig zu vergiften und die Gesellschaft zu spalten. Wie in Deutschland in Halle und Hamburg waren Juden ein Ziel für Angriffe. Nach diesem Attentat sehen sich die jüdischen Bürger gezwungen, sich stärker zu verbarrikadieren und abzuschotten. Und Musliminnen und Muslime werden stärker unter Generalverdacht stehen.

Es war aber auch ein Anschlag auf das Lebensgefühl der Wiener - nicht zufällig am Vorabend des Lockdown, der in Österreich mit einer nächtlichen Ausgangssperre versehen ist. Denn das Ziel war, möglichst viele zu töten: wahllos, gnadenlos. Und zwar jene, die sich im Vergnügungsviertel der Stadt, dem sogenannten Bermudadreieck, zusammengefunden haben. Dieses Gefühl, man könne sich vor den Widrigkeiten der Welt in ein Theater, ein Kaffeehaus oder ein Straßencafé flüchten, hat Schaden genommen in diesen Stunden, die Österreich für immer verändert haben."

"Guardian" (London):

"Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz hat geschworen, dem Hass keinen Raum lassen und zugleich davor gewarnt, dass der islamistische Terror die Gesellschaft zu spalten versuche. Seine Bekräftigung, dass Terroristen und nicht Mitglieder einer bestimmten Religion Feinde des Landes sind, ist begrüßenswert. Dies sei kein Kampf zwischen Christen und Muslimen oder zwischen Österreichern und Migranten, sondern ein Kampf zwischen Zivilisation und Barbarei, sagte er.

Der Anschlag auf die Universität von Kabul, bei dem am Montag Angreifer, die mit der Terrororganisation IS verbunden sind, 22 Studenten umgebracht und ebenso viele verwundet haben - der zweite Mordanschlag auf afghanische Studenten innerhalb von zwei Wochen - macht einmal mehr klar, dass weltweit die meisten Opfer des islamistischen Terrorismus Muslime sind."

"Süddeutsche Zeitung" (München):

"Die Tat vom Montag trägt dazu bei, das Klima in Österreich nachhaltig zu vergiften und die Gesellschaft zu spalten. Wie in Halle und Hamburg waren Juden ein Ziel für Angriffe. Nach diesem Attentat werden sich die jüdischen Bürger gezwungen sehen, sich stärker zu verbarrikadieren und abzuschotten. Und Musliminnen und Muslime werden stärker unter Generalverdacht stehen. Es war aber auch ein Anschlag auf das Lebensgefühl der Wiener - nicht zufällig am Vorabend des Lockdown, der in Österreich mit einer nächtlichen Ausgangssperre versehen ist. Denn das Ziel war, möglichst viele zu töten: wahllos, gnadenlos. Und zwar jene, die sich im Vergnügungsviertel der Stadt, dem sogenannten Bermudadreieck, zusammengefunden haben. Dieses Gefühl, man könne sich vor den Widrigkeiten der Welt in ein Theater, ein Kaffeehaus oder einen Schanigarten flüchten, hat Schaden genommen in diesen Stunden, die Österreich für immer verändert haben."

„Delo" (Ljubljana):

"Extremisten beeinflussen die Gesellschaft auf ähnliche Weise wie das Coronavirus: sie greifen nicht nur Menschenleben an, sondern auch die Leidenschaft für das Leben, die Kunst, Kultur, Bewegung, Reisen, Mitgefühl, Menschenrechte, Würde und Toleranz. Die Freiheit an sich. Auch deshalb war es bei dem tragischen und entsetzlichen Anschlag und schmerzhaften Verlust von Menschenleben ermutigend, die Handlungen von österreichischen (und Wiener) Behörden zu beobachten, die mit großer Sensibilität für menschliches Leid sowie mit Kompetenz und Reife - dasselbe gilt für einen Großteil der Medien, die es verhindert haben, ein Spektakel zu schaffen - dafür gesorgt haben, dass der taktisch durchdachte Terrorangriff seinen Zweck nicht erreicht hat."

"Helsingin Sanomat" (Helsinki):

"Zuerst Paris, dann Nizza, jetzt Wien. Die ruhige Zeit der Terroranschläge in Europa ist vorbei. Damit sich die Polarisierung zwischen Muslimen und der restlichen Bevölkerung nicht zuspitzt, braucht man die gemäßigten muslimischen Organisationen mit an Bord, um eine Radikalisierung zu verhindern."

"El País" (Madrid):

"Der islamistische Terrorismus ist nicht nur eine Bedrohung für die Sicherheit, sondern heute mehr denn je eine Herausforderung für den inneren Zusammenhalt der europäischen Gesellschaften. Um den Jihadismus als Bedrohung der Sicherheit angemessen zu bekämpfen, stützt sich der Rechtsstaat unserer liberalen Demokratien im Wesentlichen auf Gesetze, Justizbehörden, Polizeibehörden, Geheimdienste, Gefängnisse und internationale Zusammenarbeit. Um auf den Jihadismus als Herausforderung für den sozialen Zusammenhalt angemessen reagieren zu können, müssen Bürger und zivilgesellschaftliche Einheiten aber auch ausreichend klare und gemeinsame Vorstellungen darüber haben, was Terroristen vorhaben, welche Überzeugungen sie ansprechen und wo sie ein für sie günstiges Umfeld finden.

Über das Töten, Verletzen und Zerstören hinaus, um diejenigen in Angst und Schrecken zu versetzen, die sie zu Feinden Allahs und damit zu ihren eigenen Feinden erklärt haben, versuchen die Jihadisten, westliche Gesellschaften im Allgemeinen und europäische im Besonderen zu untergraben. Ihre Strategie besteht darin, die Gewalt anzuwenden, die der Westen in einem vermeintlichen Krieg gegen den Islam ausgeübt hat, und darin, die Kluft zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen zu vergrößern. Unsere soziale Reaktion muss darin bestehen, eine Auseinandersetzung mit dieser Gewalt zu führen, die Toleranz angesichts von Intoleranz in den Vordergrund stellt. Wir müssen verhindern, dass Extremisten uns aufgrund ihres kulturellen oder religiösen Hintergrunds polarisieren und spalten."

REUTERS

"De Telegraaf" (Amsterdam):

"Der Terrorismus scheint zurückgekehrt zu sein. Enthauptungen in Paris und Nizza, Schüsse in Wien. Und was steht uns noch bevor, wo sich jetzt Hunderttausende europäische Muslime über den französischen Präsidenten Macron und die Mohammed-Karikaturen aufregen? Wir müssen uns jedoch vor zu viel Pessimismus hüten. Nein, der Terrorismus ist nicht besiegt worden, und ja, er ist 2020 erstarkt. (...)

Das große Problem mit dem Terrorismus ist, dass alle hoffnungsvollen Ansätze (bei seiner Bekämpfung) leider keine Garantie für Sicherheit bieten. (...) Es braucht nur einen Fanatiker mit einer Vision, ein Messer, einen Lastwagen und etwas Glück. Deshalb bleibt Vorsicht geboten."

"Magyar Nemzet" (Budapest):

"Ein Terrorist wird sich niemals in Europa integrieren. Wie viele Tote braucht es noch, damit auch die Politiker im Westen endlich begreifen, dass wir, die Ungarn, die Polen, die (migrationskritischen) Mitteleuropäer nicht die Hölle sind für sie, sondern die Erlösung? Europa hat jetzt mehrfache Gründe dafür, dass die Länder und Völker einander beistehen, weil die Viren besiegt werden müssen, die unsere Gesellschaften zerstören. Das mit dem Auge nicht sichtbare Virus, das wir kaum kennen, ebenso wie jenes, das sehr gut sichtbar und erkennbar ist."

"Pravda" (Bratislava):

"Wenig überraschend sind die Reden von Angriffen auf unsere freie liberale Demokratie, an die sich die Muslime (meist schon als Synonym für Migranten verwendet) nicht anpassen wollten. Als würde dabei vergessen, dass wir uns die liberale Demokratie mit unendlichem Leid von Millionen unschuldiger Menschen und mit absurden Kriegszügen der letzten Jahrzehnte erkaufen - und mit solcher kultureller und sozialer Erniedrigung, wie sie sich wenige im sogenannten Westen vorstellen können. Diese Erniedrigung zeugt ihre Kinder, sie sind Frucht der Politik, nicht der Religion.

Nein, das ist keine Entschuldigung des Terrors. Nein, etwas zu erklären heißt nicht, es zu verzeihen. Es heißt aber, ein Umfeld zu schaffen für eine bessere und wirksamere Politik. Auch damit Politiker nicht mit solchen mentalen Aussetzern reagieren wie der slowakische Sozialminister, der noch vor der Veröffentlichung aller Details des Angriffs wusste, dass die wichtigste Lehre aus dem Angriff die Ablehnung von Flüchtlingsquoten sein müsse. Gut, dass Wien in seiner schweren Stunde nicht so reagiert hat, dafür gebührt ihm Dank und Anerkennung."

"Duma" (Sofia):

"Neben der Bedrohung durch den islamischen Extremismus wirft der Terroranschlag in Wien Licht auf mindestens drei Probleme. Der liquidierte Terrorist ist ein Albaner aus Nordmazedonien, wenn auch mit österreichischer Staatsbürgerschaft. Dies ist der erste Fall, in dem eine Person aus dieser Region einen Terrorakt in Europa begeht. Bisher stammten die Attentäter aus Nordafrika und dem Nahen Osten. Jetzt kommen sie auch aus dem Westbalkan - der Schwelle Europas. Von nun an wird die Region als eine Bedrohung wahrgenommen werden. Im Unterschied zu Nordafrika und dem Nahen Osten kandidiert sie aber für die EU. Kein Wunder, sollte man in Brüssel nun für die Idee einer EU-Integration der Region abkühlen.

Das zweite Problem ist die Politik der offenen Türen und die Freizügigkeit von Menschen, auch von Flüchtlingen. (...) Das dritte Problem ist die unerklärliche Nachgiebigkeit der Rechtsprechung in der EU. Der Wiener Terrorist (...) wurde vorzeitig (aus der Haft) entlassen und saß lediglich acht statt 22 Monate. Der Preis dieser 'Menschlichkeit' sind die unschuldigen Opfer."

(sk)

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