Interview

Elvis Costello: „Rock'n'Roll sollte undogmatisch sein“

(c) Lens OI'Toole
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„Hey Clockface“ ist bereits die 31. Liedersamnmlung des alten Pop-Hornbrillenträgers Elvis Costello. Der „Presse“ erzählte er über seine Arbeitswut, die Magie des Radios, Wut und die Stimmung in finnischen Studios.

Die Presse: Das Jahr hat für Sie ja gut begonnen: Sie haben Ihren zweiten Grammy bekommen.

Elvis Costello: Ja. Seltsam nur, dass es der Grammy in der Kategorie „Best Traditional Album“ war. Die Lieder von „Look Now“ beziehen sich ja viel stärker auf Traditionen des Sixties-Pop als auf das Great American Songbook, das bislang in dieser Kategorie regierte. Aber egal, es hat uns sehr gefreut.

Hat der Corona-Lockdown die Arbeiten an Ihrem neuen Album beeinflusst?

Schon. Ich wollte das Album, das davor in Helsinki und Paris aufgenommen worden war, in New York fertigstellen. Das ging nicht mehr. Also flog ich nach Kanada zurück, wo die Situation nicht so gefährlich war. Auf diese Weise konnte ich auch unerwartet viel Zeit mit meiner Familie verbringen.

„Hey Clockface“ ist Ihr 31. Album. Was hat Sie eigentlich dazu gebracht, so viele Songs zu schreiben?

Es hat sich einfach so ergeben. Schon als achtjähriges Kind habe ich aus purer Freude am Schreiben Gedichte und kleine Spielszenen verfasst. Mit 14 Jahren habe ich meine erste Gitarre zur Hand genommen und Peter Greens „Man of The World“ gelernt. Ein guter Beginn, denn dieses Lied ist sehr schwierig. Andere meiner Lieblingssongs waren leichter, was für mich ziemlich befreiend war. Dass ich bald eigene Lieder schrieb, passierte ganz automatisch. Und dann stellte sich heraus, dass niemand anderer sie singen konnte. Also tat ich das selbst.

Bruce Springsteen litt einige Jahre an einer Schreibblockade. Sie nie?

Nein. Ein Grund dafür ist wohl, dass ich keinen Langzeitvertrag mit einem Label habe. Niemand sagt mir, wann ich etwas aufnehmen muss. Ich kann tun und lassen, was ich will. Vor 20 Jahren war ich bei einmal bei zwei Labels gleichzeitig unter Vertrag. Aber belastet hat mich das nie. Ich habe wahrscheinlich mehr Platten aufgenommen, als ich wirklich gewollt habe.


Und was hat Sie diesmal beim Aufnehmen am meisten gefreut?

Die Sessions in Helsinki und Paris. Das Arbeiten in fremden Städten löst in mir immer Fantasien von Detektiv- oder Spionageszenerien aus. Und Helsinki im Februar war großartig. Die Luft war klar und kühl. Ich fuhr täglich mit einer Fähre zum Studio. Dort arbeitete ich ohne Band, spielte sämtliche Instrumente auf meine Art ein.

Dort entstand auch „No Flag“, wo Sie Zeilen wie „I've got no religion“ und „I sense no future“ singen. Ein Song der Rebellion?

Ich sehe „No Flag“ gar nicht als Protestsong. Es ist einfach ein Gedankenspiel darüber, was passieren kann, wenn man ans Ende seiner Toleranz kommt.

Und was hat Sie zum hintersinnigen „We Are All Cowards“ inspiriert?

Die Erinnerung an meine regelmäßigen Wutausbrüche zu Beginn meiner Karriere. Damals leitete mich eine recht infantile Wut. Das Lied sollte keine Schuldzuweisung sein. Ich bin mitgemeint. Wir verstecken uns hinter Gewehren, hinter Religion, hinter philosophischen Ansichten, statt herausfinden zu wollen, was der andere fühlt. Das wollte ich einmal aus mir heraussingen.

Das finnische Studio haben Sie im Internet entdeckt?

Ja. Es sah sofort wie ein Ort aus, an dem ich Spaß haben kann. Bei den Vorgesprächen mit Ingenieur Eetü Seppälä stellte sich rasch heraus, dass dort niemand fixe Soundvorstellungen hatte. Das waren gute Voraussetzungen, denn Rock'n'Roll sollte prinzipiell undogmatisch sein. Ich kam mit nur einer Gitarre und einer alten Drummachine an, hatte grobe Skizzen für „No Flag“ und „We Are All Cowards“, für „Hetty O´Hara Confidential“ nicht einmal das. Das entstand aus dem Augenblick. Ein zünftiger Rhythmus und eine gute Story. Wenn das nicht Rock'n' Roll ist, dann weiß ich auch nicht.

Und waren die Pariser Sessions auch so hemdsärmelig?

Nein. Dort musste alles vorbereitet sein, denn die Pariser Lieder waren harmonisch anspruchsvoller. Mein musikalischer Langzeitpartner Steve Nieve nahm sich die Zeit, elegante Akkordwechsel zu ersinnen. Zudem heuerte er ein klassisches Quintett an. Aber auch hier wurde improvisiert. Wir hatten keine Rhythmusarrangements. Ich sang los, die Musiker spielten spontan dazu. Das war grandios. Ich hatte sofort das Gefühl, die brauchen keinen Reisepass, um das Genre wechseln.

Auf dem Album sind auch zwei Rezitative. Eines davon heißt „Radio is Everything“. Wie wichtig war Radio für Sie?

Als Kind war es sehr wichtig für mich. Es nährte meine Vorstellungskraft. Als Medium setzt es auf die Kreativität seiner Hörer, während Fernsehen alles abbildet. Im Vergleich zum Fernsehen ist Internet die reinste Bastelstube. Es lässt einen kreativ werden. Man muss nur aufpassen, dass man seine Kritikfähigkeit nicht einbüßt. Neben tollen Inhalten gibt es im Netz ja auch totalen Nonsense. Nur beim Radio kann nichts schief gehen.

Sie haben zuletzt auch an einer Vinyl-Neuedition Ihres Klassikers „Armed Forces“ gearbeitet. Warum?

Weil es mir wichtig ist, dass möglichst viele Menschen wieder das physische Album zu schätzen lernen. Es wurde ein schönes Objekt mit Comics, Postkarten und insgesamt sechs Alben. Ich bin nicht reich geworden durch meine Schallplattenverkäufe. Ich habe meine Gewinne stets reinvestiert. Das macht mich glücklich. Alles was ich will, ist weiterzuarbeiten.

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