Morgenglosse

"Stimmen finden": Das nennt man "zählen", Mr. President!

n Arizona demonstrieren Trump-Anhänge vor dem Staatskapitol in Phoenix.
n Arizona demonstrieren Trump-Anhänge vor dem Staatskapitol in Phoenix.REUTERS
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Donald Trumps Erzählung der „gestohlenen Wahl“ ist eine lange vorbereitete Propaganda, die nun Früchte trägt. Die Dramaturgie der Wahlnacht ist Trump-Anhängern schlicht nicht zu erklären. Sie hören schon längst nicht mehr zu.

Demonstranten, die den Stopp der Auszählung von Briefwahlstimmen fordern und gleichzeitig behaupten, die Wahl werde gestohlen. Ergibt logisch keinen Sinn? Für Sie und mich vielleicht. Aber die Anhänger von US-Präsident Donald Trump wurden monatelang auf dieses Szenario eingeschworen, ihr Vertrauen in „Mainstream-Medien“ und Behörden ist durch Hunderte Tweets und Social-Media-Kampagnen schlicht nicht mehr vorhanden. „Sie finden überall Stimmen für Biden - in Pennsylvania, in Wisconsin und in Michigan. So schlecht für unser Land“, twitterte Trump in der Wahlnacht. „Finden.“ Das nennt man „zählen“, Mr. Präsident.

Doch Trumps Erzählung von der „gestohlenen Wahl" ist längst auf fruchtbaren Boden gefallen. Stellen Sie sich als eingefleischter Trump-Fan das Szenario vor: Ihr Held liegt etwa in Pennsylvania bis zu einem Auszählungsgrad von 60 Prozent noch 700.000 Stimmen vorne. Und dann wird angefangen, die Briefwahlstimmen auszuzählen, die sogar noch Tage nach der Wahl eintrudeln dürfen, wenn der Poststempel passt. Eine Nacht später ist der Abstand auf wenige Tausend Stimmen geschrumpft. Genauso, wie es Donald Trump, der einzige Mann, dem Sie in der Politik vertrauen, prognostiziert hat. Warum sollten Sie den Medien glauben, die sagen, das geht mit rechten Dingen zu, die erklären, warum das so ist? Ausgerechnet jenen Medien, die ihr Held Trump seit Jahren verteufelt, sie als „Fake News“ abtut?

Joe Biden wird diese Wahl gewinnen. Knappest. Dank der Briefwähler, die ihm deutlich mehr zugetan sind, als Donald Trump. Aber auch Trump-Wähler haben per Brief gewählt. Es ist ja nicht so, als ob Briefwähler ein exklusiver Demokraten-Klub wären. Auch wenn Republikaner in dieser Gruppe unterrepräsentiert sind - warum soll ihre Stimme nicht gezählt werden? Warum soll ihre Stimme nicht „gefunden“ werden?

Die Menschen, die Trump gut finden, fühlen sich nicht verstanden, nicht ernst genommen. Ein Problem, das auch der demokratische „Kandidat der Mitte", nicht gelöst hat. Joe Biden war im Vorfeld zugetraut worden, auch Trump-Wähler anzusprechen. Das ist nicht gelungen. Der Graben in den USA ist tief. Die knappe Wahl samt juristischem Nachspiel wird diesen Graben vertiefen.

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