Schuldzuweisungen

Terror in Wien: Suche nach dem Schuldigen

Kanzler Sebastian Kurz nahm Innenminister Karl Nehammer in Schutz und schob die Schuld in Richtung Justiz.
Kanzler Sebastian Kurz nahm Innenminister Karl Nehammer in Schutz und schob die Schuld in Richtung Justiz. APA/HELMUT FOHRINGER
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Hat die Justiz versagt? Der Verfassungsschutz? Die Bewährungshilfe? Das Deradikalisierungprogramm? Hätte das Attentat verhindert werden können? Eine Untersuchungskommission soll das klären – inzwischen streitet die Politik.

Wien. Die dreitägige Staatstrauer wurde nicht gerade staatstragend verbracht. Auf der Suche nach der Ursache für den Terrorakt in der Wiener Innenstadt mit vier Toten und 23 Verletzten ergeht sich die Politik in Schuldzuweisungen: Opposition gegen Regierung, türkises Innenministerium gegen grünes Justizministerium.

Wie konnte das passieren? Trägt die Justiz Schuld, weil der Mann wegen guter Führung vorzeitig entlassen wurde? Die Bewährungshelfer und Deradikalisierer, weil ihnen nicht aufgefallen ist, dass der 20-Jährige dem Islamischen Staat nie abgeschworen hatte? Oder das Innenministerium, weil ein Hinweis der slowakischen Behörden, dass der Mann im Juli versucht hatte, Munition zu kaufen, nicht zur sofortigen Verhaftung geführt hat? ÖVP-Innenminister Karl Nehammer hat versprochen, eine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen, die all diese Fragen klären soll.

Waffenkauf im Nachbarland

Bis es so weit ist, wird die Zeit für politische Kleinkriege genützt. Zuletzt attackierte Ex-FPÖ-Innenminister Herbert Kickl seinen ÖVP-Nachfolger scharf. Das BVT habe versagt. Kickl legte ein Dokument der slowakischen Behörden vor, das zeigt, dass man bereits im Juli meldete, dass Terrorist F. K. versucht hatte, in der Slowakei Munition zu kaufen. Außerdem verriet Kickl, dass es zwei (offenbar bis dahin noch laufende) verdeckte Operationen gegeben habe, die einen konzertierten Schlag gegen die Islamistenszene in Österreich vorgehabt hatten. Die Hausdurchsuchungsaktionen hätten – laut Kickl – am 3. November, am Tag nach dem Attentat, stattfinden sollen. Minister Nehammer seinerseits konterte: Dass ausgerechnet Kickl, der das BVT in seiner Ära ruiniert habe, nun Derartiges behauptet, richte sich von selbst.

Aber was ist passiert? Mitte Juli fuhr der Attentäter K. F. mit dem Auto von der Mutter eines Freundes in die Slowakei. Er ging in ein Waffengeschäft und wollte Munition für ein AK-47-Sturmgewehr kaufen. Er bekam sie aber nicht, weil er keine Lizenz vorweisen konnte. Der Waffenhändler meldete an die Behörden, dass ein jihadistisch anmutender Österreicher ebenjenen Kauf tätigen wollte. Die slowakischen Behörden informierten daraufhin Österreich. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) gab das Schreiben samt schlechtem Lichtbild an das Landesamt für Verfassungsschutz (LVT) in Wien. Ein Fragment eines Kennzeichens wurde ebenfalls übermittelt. Das LVT stellte Akten mit Fotos zusammen, das BVT bat Europol, dass die Bilder dem Verkäufer zur Identifizierung vorgelegt werden sollten. Und dann dauerte es. Trotz dreimaliger Nachfrage der österreichischen Behörden in der Slowakei war eine Identifizierung erst Mitte Oktober möglich.

Was passierte dann? Eine Gefährdungsbewertung des Täters wurde erstellt, sagte der Wiener Polizeipräsident, Gerhard Pürstl, in einer Pressekonferenz am Donnerstag. Das sei keine einfache Sache, es gäbe viele Parameter. Der Verfassungsschutz habe daraufhin Ermittlungen „auf hohem Niveau eingeleitet“ – und das, obwohl bis zum Schluss nicht hundertprozentig sicher war, dass F. K. auch wirklich jene Person war, die den Kauf in der Slowakei tätigen wollte. Das sei laut Generalsekretär Franz Ruf auch der Grund, warum man den Mann nicht observieren konnte. Um eine Genehmigung für derartige Maßnahmen zu erhalten, müsste die Identität eindeutig feststehen. Im Schreiben der slowakischen Behörde steht tatsächlich: „Wahrscheinlich handelt es sich um F. K.“ und einen weiteren Mann. Letzterer wurde übrigens ebenfalls bereits verhaftet und sitzt derzeit in der Justizanstalt Wien Josefstadt. Außerdem hätte F. K. am 4. November ein Gespräch mit Derad, dem Deradikalisierungsverein, haben sollen. Das wollten die Behörden nach „Presse“-Informationen noch abwarten, um dann zu beschließen, wie vorzugehen sei.

Nehammer stellte am Donnerstag klar, dass die von Kickl angesprochene und geplante Razzia nichts mit dem Fall zu tun hatte. Laut „Presse“-Informationen ist die Operation noch am Laufen. Allerdings steht infrage, ob man diese überhaupt noch durchführen kann. Es habe keinen Sinn mehr, diese durchzuführen, heißt es aus Ermittlerkreisen gegenüber der „Presse“. Kickls Veröffentlichung habe die Ermittlungen und V-Leute in Gefahr gebracht.

Die Untersuchungskommission

Wurde Zeit vertrödelt? Hat man die Zeit für die Vorbereitung für Anträge für Hausdurchsuchungen und Observation gebraucht wie behauptet? Hätte man das der Justiz sofort melden müssen? Hätte das gereicht, um den Mann auf Bewährung sofort einzusperren?

All diese Fragen wurden am Donnerstag in der Sondersitzung des Nationalrats diskutiert. Seitens der FPÖ gab es einen Misstrauensantrag gegen ÖVP-Innenminister Karl Nehammer. Er scheiterte, nur die SPÖ stimmte mit. Alle Parteien forderten eine unabhängige, transparente Untersuchungskommission. Neos-Klubvize Nikolaus Scherak forderte, dass die Opposition den Vorsitz nominieren dürfe, um einen unabhängigen Ausschuss zu garantieren. Als möglicher Vorsitzender wird immer wieder Jurist Georg Krakow, bei Transparency International, genannt. Er war Kabinettschef von ÖVP-Ministerin Claudia Bandion-Ortner. Und wurde der FPÖ von Ex-Wirecard-Chef Jan Marsalek als neuer BVT-Chef vorgeschlagen. Krakow arbeitet derzeit auch in der Experten-Juristengruppe von Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Wann die Kommission eingesetzt wird, ist noch nicht klar.

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