Kulturgeschichte

So kriegen wir auch diesen Lockdown rum

Kommt uns bekannt vor: Edward Hoppers Gemälde „Cape Cod Morning“ von 1950.
Kommt uns bekannt vor: Edward Hoppers Gemälde „Cape Cod Morning“ von 1950.Smithsonian American Art Museum
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Früher zogen sich Menschen freiwillig zurück und wurden dafür hoch geachtet. Taugen Säulenheilige, Ziereremiten oder Sennerinnen nicht mehr als Vorbild? Dann könnten uns immer noch kreative Häftlinge erbauen.

Der Mann hieß Symeon und wohnte auf einer Säule, jahrzehntelang. Freilich nicht immer stehend, wie man ihn gezeichnet sieht. Auf das Kapitell befestigte man eine Platte, auf der er sich ausstrecken konnte, samt Geländer, damit er im Schlaf nicht runterfiel. Essen kam über eine Leiter. Er blieb dort oben bis ans Ende seiner Tage, und sogar der Kaiser musste zu ihm raufklettern, um einen Rat einzuholen.

Symeon war, im Syrien des fünften Jahrhunderts, der erste Säulenheilige. Im übertragenen Sinn gibt es solche ehrfurchtgebietende Gestalten noch heute. Und wir brauchen im zweiten Lockdown ja dringend etwas, an dem wir uns aufrichten können. Anders als im Frühling dürfen wir zwar tagsüber shoppen, aber danach lauert das mittelalterlich anmutende Verbot der Ausgangssperre. Also: richtig lange, schrecklich dunkle Abende zu Hause, allein oder im kleinsten Kreise unserer immer gleichen Lieben.

Da mag es lohnen, sich zu entsinnen: Diese Leute machten damals freiwillig noch viel weniger und galten darob als Heilige. Dendriten saßen auf Bäumen, andere Mönche ließen sich einmauern (offen blieb nur ein Loch für die Nahrung). Wem das zu spirituell ist: Die ersten Einsiedler, vornehm Anachoreten genannt, hatten ganz weltliche Motive. Weil sie keine Steuern zahlen oder sich vor dem Wehrdienst drücken wollten, zogen sie sich in die ägyptische Wüste oder ins sumpfige Nildelta zurück. So wurden sie zu Vorbildern auch für anarchische Aussteiger, von Diogenes in der Tonne bis zu Henry David Thoreau, der glaubte, nur in seiner Blockhütte am Walden-Teich „alles Mark des Lebens aussaugen“ zu können.

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