Kommentar

Nein, über Versäumnisse muss man reden

Ob Terror-Gefährder leicht auf Bewährung freikommen, muss man ebenso diskutieren wie die Frage, wo Minister-Haftung beginnt und aufhört.

Manchmal macht sich der Bock selbst zum Gärtner. So geschehen diese Woche. Herbert Kickl bildet die oppositionelle Speerspitze gegen Innenminister Karl Nehammer und bringt einen Misstrauensantrag ein, während die Trauerkerzen noch brennen. Kickl macht Nehammer für die Versäumnisse im Bundesamt für Verfassungsschutz verantwortlich, ohne die die Terrorattacke vermutlich nicht passiert wäre. Originell. Vielleicht bestellen wir Heinz-Christian Strache zum Rechnungshofpräsidenten und fragen Karl-Heinz Grasser, ob er Öbag-Geschäftsführer werden will.

Es war Herbert Kickl, der dem mit Intrigen und Selbstbeschädigung beschäftigten Inlandsgeheimdienst den Rest gab. Auf sein Betreiben wurde eine Hollywood-gerechte Hausdurchsuchung bei Beamten durchgeführt, die den Schutz Österreichs vor Terror zu verantworten haben. Zu diesem Zeitpunkt war das Vertrauen befreundeter Nachrichtendienste zu Österreich zerrüttet. Es grenzt an ein Wunder, dass die slowakischen Behörden nach Wien meldeten, ein Verdächtiger hätte versucht, illegal Munition zu kaufen. Immerhin antworteten die Österreicher nach sommerlichen Monaten, dass es sich um einen gefährlichen Zeitgenossen handle. Der Justiz verrieten das die Beamten nicht und müssen sich nun zu Recht vorwerfen lassen, den schlimmsten Terroranschlag in der jüngeren Geschichte nicht verhindert zu haben. Auffälliger kann sich ein Terrorist nicht auf den Präsentierteller legen, er hätte nur noch vorher anrufen können.

Aber trotz Kickls Frechheit darf man die Verantwortung des Innenministers hinterfragen: Es war in seiner Ressortverantwortung, es gibt Länder, da reicht dies als Rücktrittsgrund. In Österreich ist nur persönliches Schuldverhalten eines Politikers Grund zu gehen – und nicht einmal das immer. Aber Nehammer kann seine Verantwortung beweisen – mit einer wirklich unabhängigen harten Untersuchungskommission, die auf die BVT-Machtzirkeln aus der Zeit Ernst Strassers keine Rücksicht nimmt. Eine völlig Neugründung des Dienstes ist endgültig fällig.

Natürlich darf und muss man Fragen stellen und beantworten: Muss ein Gefährder und Beinahe-IS-Kämpfer so einfach auf Bewährung geschickt werden? Nein. Muss ein vermeintliches Deradikalisierungsprogramm so heimelig laufen, dass ein 20-Jähriger alle täuschen kann? Nein. Das Problem möglicher Gefährder, die aus der Haft entlassen werden, wird zahlenmäßig zunehmen. Das zu lösen oder unter Kontrolle zu haben, wird für die Regierung von höchster Priorität sein. Auch nach Covid-19.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2020)

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