Nachhaltigkeit

Wenn Wissenschaft und Kunst miteinander flirten

Aus einem „Nature“-Artikel von u. a. Biomathematiker Martin Nowak wurde ein Tanz.
Aus einem „Nature“-Artikel von u. a. Biomathematiker Martin Nowak wurde ein Tanz.Jason Nemirow
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Die Künstlerin Gloria Benedikt übersetzt Forschungsergebnisse zu Klimawandel, Artensterben, Ressourcen und Migration in Musik, Theater und Tanz. Ihr Ziel ist, abstraktes Wissen erlebbar zu machen und durch davon ausgelöste Emotionen Verhaltensänderungen anzustoßen.

Was passiert, wenn Zahlen und Fakten eine Liaison mit Gefühl und Körperlichkeit eingehen? Und ist das überhaupt wünschenswert? Ja, sagt die Künstlerin Gloria Benedikt. Und zwar unbedingt. „Die Wissenschaft kann die Welt so darstellen, wie sie ist und wie sie aussehen wird. Was sie nicht kann, ist zu verbildlichen, wie die menschliche Erfahrung in dieser modellierten Zukunft sein wird – das ist die Domäne der Künste.“

Fünf Jahre lang ging die Tänzerin und Choreografin am Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien der Frage nach, wie gesellschaftlich höchst relevante wissenschaftliche Erkenntnisse zu Klimawandel, Artensterben, Migration oder Ressourcengerechtigkeit und damit zusammenhängende ethische Überlegungen durch Kunst vermittelt werden können. Das Ziel: konkrete Verhaltensänderungen voranzutreiben.

„Es war aufregend, an der Spitze von etwas Neuem und Dringendem zu stehen, aber es war auch einschüchternd, an einem so herausfordernden und unerforschten Thema zu arbeiten – ganz ohne Rahmen, Modell oder Handbuch“, sagt Benedikt, die an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper, der britischen Kompanie English National Ballet und der Harvard University ausgebildet wurde, rückblickend. Mit ihrem Team entwickelte sie ausgehend von Projekten mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus zwanzig Ländern „so etwas wie eine neue Sprache für die Wissenschaft“.

Hoffnung geben, Ehrfurcht vor Herrschern oder Empathie für bestimmte Politiken wecken, menschliche Wahrheiten kraftvoll ausdrücken, Menschen über Grenzen hinweg verbinden – in den vergangenen Jahrhunderten übernahmen die Künste die verschiedensten gesellschaftlichen Rollen. Nun sei die Zeit dafür gekommen, dieses Repertoire in Kollaboration mit der Wissenschaft zu erweitern, erklärt Benedikt. Die aus den einzelnen Projekten gezogenen Lehren wurden kürzlich in dem Bericht „Science and Art for Life's Sake“ zusammengeführt und publiziert.

Kinderchor und getanzte Publikationen

Die experimentellen Darbietungen blieben stets den wissenschaftlichen Erkenntnissen treu, verwandelten sie jedoch auf ganz unterschiedliche Weise in Geschichten, Tanz oder Musik – und machten sie damit zugänglicher. Die Künstlerinnen und Künstler füllten die Fakten mit persönlicher Bedeutung und wiesen so auch auf die moralischen und ethischen Dilemmata hin, die sich daraus ergeben. Die Bandbreite der Einzelprojekte zeigt, wie vielfältig Wissenschaft und Kunst verknüpft werden können. So wurde etwa in einem musikalischen Projekt der Temperaturanstieg durch einen Kinderchor vertont. Eine Tanzperformance lotete wiederum Gemeinsamkeiten und Unterschiede von analytischem Arbeiten und kreativer Spontaneität aus. Wie aus wissenschaftlichen Publikationen zur Verknappung der Ressourcen auf der Erde erfahrbare Kunst werden kann, zeigte indes das Theaterstück „Piece of Cake“, in dem vier Generationen einer Familie im Zeitraum von 1950 bis 2050 mit sich verändernden Lebensbedingungen zurechtkommen müssen, wurden. „Als Wissenschaftler erklären wir, wie die Welt funktioniert. Aber Künstler können zeigen, wie Dinge wirklich sind“, resümiert der IIASA-Forscher Fabian Wagner, der für „Piece of Cake“ mit der Dramatikerin Lanxing Fu zusammenarbeitete. „Ich fand es faszinierend, wie ein Theaterstück Ideen in Wörter verwandeln kann.“

Es sei mehr denn je zentral, die Mathematik, die Natur- und Sozialwissenschaften mit den Künsten zusammenzuführen, „weil uns erst Emotionen zum Handeln anregen“, betont auch Joanne Linnerooth-Bayer von der Risiko- und Resilienz-Forschungsgruppe des IIASA. Dieses Handeln kann jedoch nicht einfach vorgegeben werden, so ein Fazit Benedikts, sondern sollte sich aus den Fragen ergeben, die sich erst durch die künstlerische Darbietung in Bezug auf das eigene Leben stellen.

Bericht zum Download: pure.iiasa.ac.at/16638

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2020)

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