Pizzicato

Ein Wunder des Jahres

Greber
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Viren, Wahnsinn und Co. Und dann das: Ein Sterben. Und eine Auferstehung. In Grün. Bei mir zuhause. Yes! Alles wird gut.

Heuer ist ein seltsames Jahr. Es sind Zeiten und Menschen, Systeme und Umstände, die einem die Zähne zeigen, und so manch anderes auch, die an Lebensbahnen rütteln (was nicht immer schlecht sein muss) und einen lichtdämpfenden Schleier über vieles legen, von der Außenwelt bis zur Gedankenwelt. Corona, USA, Russland, China, Syrien, Türkei, Terror, Ignoranz, Verschwörungstheorien, persönliche Animositäten, etc.

Und dann kam das dazu: Irgendwann im März, das Wetter war sehr mild, ein jäher Kälteeinbruch. Nur für zwei Nächte Frost, knapp unter null Grad. Eine davon meuchelte meine zwei Orangen- und Zitronenbäumchen, die unvorsichtigerweise schon im Freien standen. Die Blätter rollten sich ein und fielen bald ab. Übrig blieb krakeliges, vertrocknetes schwärzliches Astwerk.

Sie müssen wissen, dass ich diese Bäumchen, beide brusthoch und wohlriechend, selbst gezogen hab, aus Kernen von Orangen und Zitronen – aus dem Supermarkt! Sie sind etwa zehn Jahre alt. Das wächst einem ans Herz, und in es hinein. Und plötzlich waren sie tot. Echt: Das kann einen brutal rühren. Gerade in diesen Zeiten. Oder wenn man schon viel eingesteckt hat.

Ich brachte es nicht übers Herz, die Leichen aus ihren Töpfen zu reißen, und stellte sie im Garten in ein Eck. Ich schnitt sie massiv zurück, wähnte da und dort noch Feuchtigkeit in den Zweigen, für ein paar Wochen, ein bis zwei Monate, regierte zweifelnd Hoffnung. Aber nichts geschah bei diesen krakeligen Baumskeletten.

Doch dann, viel später, im August, sah ich das Wunder: Aus dem Stamm waren heimlich neue Triebe gewachsen, kräftig und glänzend grün. Mittlerweile stehen da zwei kleinere, runderneuerte Bäumchen, die Blätter rauschen im Herbstwind und riechen nach Frucht. Ah, das richtet einen auf in diesen Zeiten. (wg)

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