Morgenglosse

Die Tätigkeit ist die gleiche, die Wirkung aber eine andere

Happy woman raising her arms and looking over the Carpathian Mountains, Romania model released Symbolfoto PUBLICATIONxI
Happy woman raising her arms and looking over the Carpathian Mountains, Romania model released Symbolfoto PUBLICATIONxIimago images/Westend61
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Wer ins Ausland geht, um dort zu arbeiten, erntet zumeist Anerkennung. Aber nicht immer.

Seit einiger Zeit trendet, wie das in sozialen Medien heißt, ein interessantes Gedankenspiel auf Twitter. Die User nennen Tätigkeiten, die die Gesellschaft fundamental anders bewertet – und zwar abhängig davon, ob sie von ärmeren oder reicheren Menschen ausgeübt werden. Ein paar Beispiele: Ins Ausland gehen, um Arbeit zu suchen; ein Unternehmen gründen und scheitern; ein Jahr Auszeit nehmen und sich auf eine spirituelle Reise begeben; als Berufsziel Modedesigner oder Künstler angeben; mehrere Fremdsprachen sprechen.

Tatsächlich ist nicht zu leugnen, dass die Bedeutung, Glaubwürdigkeit und Attraktivität einer Handlung sehr stark mit der ausführenden Person zusammenhängen. Nehmen wir das erste Beispiel. Jemand, der sein Glück im Ausland sucht, weil er mittellos und ohne Perspektive ist, hat niemals mit derselben Wertschätzung und sogar Bewunderung zu rechnen wie jemand aus wohlhabendem Haus, der mit einer vielversprechenden Geschäftsidee auswandert. Warum eigentlich? Ist die erste Person weniger mutig? Hat sie weniger zu verlieren? Müsste ihr der Neustart leichter fallen?

Beim Nachdenken über diese Fragen kamen Erinnerungen an eine Talkshow hoch, die vor ein paar Jahren im deutschen Fernsehen lief. Eine Österreicherin Anfang 20 stellte ihren ersten Roman vor und erzählte vor den ganz und gar entzückten Augen der anderen wortgewandt, wie sie die Oberstufe abbrach, sich mit ihren Eltern überwarf, weil diese wollten, dass auch sie Zahnärztin wird und deren Ordination übernimmt, nach Berlin ging und dort ein, zwei Jahre lang bei Freunden auf der Couch schlief, während sie viel feierte und auch ein paar Drogen ausprobierte. Gelebt hat sie hauptsächlich von Geldgeschenken ihrer Großeltern, bis sie irgendwann herausfand, dass sie am liebsten Geschichten erzählt, und sich einem Autorenverband anschloss. Von den Gästen wurde sie als mutige Rebellin und Vorbild für ihre Generation bezeichnet.

Ist sie das denn nicht? Doch, natürlich. Alles gut.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

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