Replik

Auch aus einem abgebrochenen Studium kann man viel mitnehmen

Die Presse (Clemens Fabry)
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Woher sollen die naturwissenschaftlich gebildeten Ökonomen, die philosophisch geschulten Chemiker, die theologisch geschulten Juristen künftig kommen?

„Es ist nicht mehr „powidl“, wie die Studien verlaufen“, schreibt Elmar Pichl in einem Gastkommentar in der „Presse“. Eine Mindestleistung pro Jahr könne erwartet werden. Es ist sicher auch nicht „powidl“, wie der Leiter der Hochschulsektion im Bildungsministerium die gesellschaftliche Aufgabe der Universitäten sieht: „Akademisierung der Gesellschaft sowie Versorgung der Wirtschaft mit hoch qualifizierten Fachkräften“.

Wollen wir eine Akademisierung der Gesellschaft? Je mehr Akademiker es gibt, desto tiefer sinkt das intellektuelle Niveau – sowohl bei den Akademikern als auch bei den Nichtakademikern.

Versorgung der Wirtschaft mit hoch qualifizierten Fachkräften: dafür haben wir doch hervorragende Fachhochschulen. Wozu brauchen wir überhaupt Universitäten?

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Wir brauchen sie dringend, weil sie einen universitären Anspruch stellen: den Blick über den engen Rand des Curriculums hinaus zu richten. Man kann aus einem abgebrochenen Studium viel mitnehmen, reden Sie darüber einmal mit Ihrem Bundeskanzler.

Sicher kann man – trotz aller Fragwürdigkeit, wie ECTS-Punkte im Einzelfall definiert werden – wenigstens 16 ECTS-Punkte pro Studienjahr verlangen. Universitäten dürfen und müssen Ansprüche stellen an Studierende und Lehrende. Aber die jährlich zu erbringende ECTS-Zahl auf ein einziges Curriculum zu beschränken widerspricht diametral der Aufgabe der Universitäten. Woher sollen die naturwissenschaftlich gebildeten Ökonomen, die philosophisch geschulten Chemiker, die mathematisch kompetenten Biologen und leider auch die theologisch geschulten Juristen faustischen Zuschnitts kommen? Oder brauchen wir die gar nicht mehr? Stören solche Geister die Effizienz der Hochschulbildung?

Wir brauchen Menschen, die schnell lernen können

Wie sieht der Gesetzgeber einen günstigen Studienerfolg? „Ein zielstrebiges Betreiben des Studiums, keine wesentliche Überschreitung der Studienzeit sowie die erfolgreiche Absolvierung von Lehrveranstaltungen und Prüfungen.“ Und danach soll man vierzig bis fünfundvierzig Jahre in Wirtschaft und Gesellschaft mithalten können? Das war vielleicht einmal so. Was wir heute brauchen, sind junge Menschen, die schnell lernen und verstehen können, denn was sie an Konkretem im Studium gelernt haben, wird in Kürze überholt sein.

Neben der Lehre sind Wissenschaft und Forschung Kernaufgabe der Universität, fragen und suchen. Fragen und Suchen kann schwerlich Effizienzkriterien genügen, Fragezeichen sind immer auch unangenehm. Und damit sind wir beim Wichtigsten, was sich eine Gesellschaft von ihren Universitäten erwarten kann: Fragezeichen! Fragezeichen bringen die Gesellschaft voran. Sie sind der wesentlichste Beitrag der Universitäten, deshalb leisten wir uns Universitäten. Und deshalb kommen Universitäten auch immer wieder in Konflikt mit Politikern, denen das unbequem ist.

Ja, das Studienrecht muss sich ändern. Aber wie?

Dieter Flury (*1952 in Zürich)war bis zu seiner Pensionierung 2017 Erster Flötist der Wiener Philharmoniker, zwischen 2005 und 2014 war er zudem künstlerischer Direktor. Neben seiner musikalischen Ausbildung absolvierte er ein Mathematikstudium an der ETH Zürich. Seit 1996 leitet Flury eine Ausbildungsklasse an der Kunstuniversität Graz.

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