„Die Gesellschaft muss sich viel stärker mobilisieren“: Blume in einem Einschussloch vom 2. 11.
Interview

Islamismus-Experte: „Das ist ein atmosphärischer Jihadismus“

Warum die Zerstörung des IS den Terror noch gefährlicher gemacht hat: Frankreichs wichtigster Islamismus-Experte Gilles Kepel im Gespräch.

Die Presse: Frankreich hat in sieben Wochen drei Attentate mit Stichwaffen erlebt, dazu drei vereitelte Attentate. Sehen Sie eine Kontinuität zum Anschlag in Wien?

Gilles Kepel: Die Attentate folgen demselben Muster. Wir sind in einer neuen Phase, die ich den atmosphärischen Jihadismus nenne. Der IS funktionierte wie ein Netz, Leute in Europa wurden von ihm aus ferngesteuert. Mit seiner Zerstörung ist es ganz anders geworden. Jetzt kreieren Influencer ein Klima und bezeichnen Zielscheiben – und dann gibt es irgendwen, der zur Tat schreitet. Es ist mehr wie ein elektrischer Kontakt.


Wie verlief der „elektrische Kontakt“ bei den Attentaten in Frankreich?

Nach der Neuveröffentlichung der Karikaturen anlässlich des „Charlie Hebdo“-Prozesses wurde Frankreich als islamophobes Land attackiert. In Pakistan verkaufte man auf großen Demos Messer mir Mordaufrufen. Ein pakistanischer Flüchtling in Frankreich sah die Videos, kaufte sich ein Fleischermesser und verletzte zwei Menschen im falschen Glauben, das seien „Charlie Hebdo“-Journalisten. Bei der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty war es das Video des Vaters einer Schülerin. Er rief nicht explizit zum Mord auf, benannte aber den Lehrer als Racheziel. Ein junger Tschetschene griff das auf, ohne durch ein konkretes Netzwerk mobilisiert zu sein. Über den Attentäter in der Kathedrale von Nizza, einen gerade erst nach Frankreich gekommenen Tunesier, weiß man noch nicht, ob er schon mit Mordvorsatz kam. Auch hier glaubt man derzeit nicht, dass ein konkretes Netzwerk ihn anleitete.

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