Kommentar

Sexuelle Minderheiten als Blitzableiter

Ungarn und Polen folgen dem autoritären Drehbuch des Kreml.

Vor neun Jahren kam Russlands Präsident, Wladimir Putin, zum bisher letzten Mal innenpolitisch in die Bredouille. Als Reaktion auf die manipulierten Parlamentswahlen organisierte sich vor allem in den Städten die Mittelschicht zu einer zivilgesellschaftlichen Protestbewegung. Putin ließ den Dissens gewaltsam niederschlagen. Und er tat noch etwas. Er schuf einen Blitzableiter für die öffentliche Aufmerksamkeit: ein „Gesetz zum Schutz von Kindern vor Information, die eine Leugnung traditioneller Familienwerte befürworten.“ Sexuelle Minderheiten eigneten sich perfekt als Sündenböcke. Denn drei von vier Russen haben laut Umfragen zumindest Unbehagen gegenüber allen, die nicht heterosexuell sind. Damit sprach er auch viele an, die mit seiner Führung Russlands unzufrieden sind.

Die heutigen Führungen Ungarns und Polens haben mit der offenen Gesellschaft nicht viel mehr am Hut als Putin. Angesichts ihrer entglittenen Coronakrisen, der resultierenden mauen Wirtschaftslage und dem Unmut wachsender Bevölkerungskreise kopieren sie Putins Drehbuch: Ungarns Verfassungsänderung, die gleichgeschlechtliche Elternpaare verbieten soll, ist ebenso in dieser Logik zu verstehen wie die „LGBT-freien“ polnischen Kommunen. Minderheiten zu verfolgen, ist an sich schon perfide. Führt man sich die hohen Suizidraten von LGBTI-Jugendlichen vor Augen, ist diese Hatz auf Sündenböcke geradezu menschenverachtend.

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