Interview

Corona-Chefberater der italienischen Regierung: "Haben in Europa kostbare Zeit verloren"

Italiens Coronadrama droht sich zu wiederholen.
Italiens Coronadrama droht sich zu wiederholen.(c) REUTERS (GUGLIELMO MANGIAPANE)
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Star-Mediziner Walter Ricciardi über die Gründe steigender Infektionen in Italien – und darüber, warum ein totaler Lockdown eine Niederlage ist.

Die Presse: Italiens Coronadrama droht sich zu wiederholen – trotz Warnungen vor einer zweiten Welle. Was lief schief?

Walter Ricciardi:
Man ist nachlässiger geworden: die Menschen durch ihr Verhalten, viele dachten, es wäre vorbei. Regionen, sie sind für die Gesundheitspolitik zuständig, haben sich teilweise nicht vorbereitet. Pläne wurden nicht umgesetzt, um Spitäler und Amtsärzte zu stärken oder Test- und Tracing-Kapazitäten auszuweiten. Und die Regierung hat nicht genug Druck ausgeübt und zu spät reagiert.

In Italien waren im Vergleich zu anderen Ländern auch im Sommer noch strikte Maßnahmen in Kraft. Die Menschen schienen wachsam, trugen Masken . . .

Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Die Regierung hatte davor gewarnt, Diskotheken zu öffnen. Einige Regionen haben sich nicht daran gehalten – Nachtlokale waren im Sommer offen, ebenso wie in vielen anderen europäischen Ländern. Die heimgekehrten Touristen trieben die Ansteckungen neu an. Zunächst wuchsen die Infektionen langsamer – aber ab einem gewissen Zeitpunkt dann exponentiell. Eigentlich hätte die Regierung sofort einschreiten und Maßnahmen ergreifen sollen – möglicherweise hätte man Ende September reagieren müssen. Stattdessen hat man weit bis in den Oktober hinein gewartet – und da war es schon zu spät. Wir haben kostbare Zeit verloren. Aber das trifft nicht nur auf Italien zu, sondern auf ganz Europa.

Wie beurteilen Sie die Lage in Europa?

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