Tatra 600, auch Tatraplan genannt wegen seiner  fortschrittlichen Aerodynamik. Und der bekannt ruhmreichen Planwirtschaft.
Feierlicher Salut

Tatra 600: Vom Winde gekühlt

Wir sind nicht sicher, welches Jubiläum wir feiern, aber dieser Tatra muss so oder so ans Licht.

Die Gelehrten sind sich bezüglich des Jubiläums nicht ganz einig: Ob die Marke Tatra nun vor 100  Jahren oder erst 1921 gegründet worden ist. Für einen feierlichen Salut haben wir freilich Alternativen: Die „Nesselsdorfer Wagenbaugesellschaft“, auf die Tatra zurückgeht, ist, dies verlässlich, vor 170 Jahren von Ignaz Schustala gegründet worden. Das Werk in der altösterreichischen Stadt, heute das tschechische Koprivnice, ist seither ununterbrochen am Produzieren, zuerst Kutschen, dann Eisenbahnwaggons, Automobile, heute Lkw. Nicht einmal im Lockdown ging man vom Gas.

Nesselsdorf gilt als Heimat des ersten Automobils Österreich-Ungarns, des „Präsident“: Antriebstechnik nach Vorbild des Motorwagens von Carl Benz, auffallend diskret in einer Kalesche aus dem Kutschensortiment untergebracht, als gehe es darum, möglichst zu verschleiern, wie sich ein Fuhrwerk ohne Pferd in Bewegung setzen kann. An der Konstruktion war bereits der 19-jährige Klosterneuburger Ingenieur Hans Ledwinka beteiligt, jener Mann, der die Geschicke des Unternehmens auf Jahrzehnte prägen sollte. Der Präsident trat sogleich, 1898, zur Jungfernfahrt ins 328  km entfernte Wien an, in unter 24  Stunden. Jedes weitere Exemplar eine kleine Neuerfindung, so sattelte Ledwinka gänzlich um vom Eisenbahn- zum Automobilkonstrukteur und leitete die Nesselsdorfer Autosparte ab 1905.

Da war man mit den Kutschen längst durch, denn so viel hatte man nach ersten Einsätzen bei Rennfahrten erkannt: Automobile mussten anders aussehen. Ledwinka schritt als Pionier unter anderem mit Zentralrohrrahmen, Pendelachsen und „Unterflurmotor“ voran. Nach dem Ende der Monarchie gingen die Wagenwerke an die Tschechische Republik, bald unter dem neuen Namen Tatra. Spätestens da begann die Verzahnung von Ledwinkas fortschrittlichen Konstruktionen mit dem, was später der Volkswagen werden sollte.

»Die Pläne für den Tatra 600
lieferte Hans Ledwinka aus dem Gefängnis.«

Auf Tatras Patente wurde von den Nazis ab 1938 jedenfalls freizügig zugegriffen – ein Thema, an dem sich schon viele Historiker abgearbeitet hatten, auch Juristen, weniger Ledwinka selbst, der während der Besatzungszeit noch aus dem Gefängnis die Pläne für den Tatra 600 lieferte: Als letzter Schliff einer Designevolution, die viele Jahre zuvor begann und nun in eine besonders strömungsoptimierte Karosserie mündete. Daher der an der Aviatik streifende Beiname Tatraplan, der ebenso den Segnungen der Planwirtschaft huldigen sollte: Die Kommunisten waren nun am Zug. Unser Exemplar, Baujahr 1950 und damit zweifelsfreier Jubilar, hat Unterschlupf im Stall des Georg Konradsheim gefunden, dem man eine Schwäche für luftgekühlte Boxerheckmotoren nachsagt. Der Händler handverlesener Porsche-Exemplare ist noch damit beschäftigt, Licht in die Biografie des Exemplars zu bringen. Denn der Vorbesitzer übernahm ihn als Scheunenfund – mindestens 40, vielleicht 50  Jahre verbrachte das Auto im Dornröschenschlaf in einem Schupfen bei Ravelsbach im Weinviertel.

(c) Beigestellt

Phoenix auf der Baustelle

Flaggschiff aus dem heutigen Kopřivnice ist der Tatra Phoenix 14 x 12: Sieben Achsen, davon sechs angetrieben und auch gelenkt! Die Allrad-Schwer-Lkw der Baureihe gelten dank Zentralrohrrahmen und Pendelachsen mit zwei bis sieben Achsen als Macht im Gelände. Fahrerhäuser wie Motoren stammen von DAF, nach Kundenwunsch mit manuellem, automatischem ZF-Getriebe oder Allison-Vollautomatik wie auch die Zahl der gelenkten Achsen. Der Markenkenner und Salzburger Tatra-Konsulent Anton Bucek sieht neben schwierigem Baustellengelände auch Feuerwehren und Katastrophenschutz als Einsatzreviere des Phoenix. Naheliegend sind Tatra-Trucks auch bei extremen Motorsportveranstaltungen wie der Rallye Dakar vertreten. Importeur für Österreich, Bayern und Südtirol ist der Nutzfahrzeughändler Tschann in Salzburg.

Was führte ihn dorthin, nahe der Stacheldrahtgrenze, was zu seiner Stilllegung? Vom Himmel geplumpster Exot war das Auto keines, wie wir im Forum der Tatra-Freunde nachlesen: „Der Tatraplan fand einen recht guten Verkaufserfolg und, gemessen an der eher schlechten wirtschaftlichen Situation der meisten Länder nach 1945, auch im Export zahlreiche Käufer. Interessanterweise gingen neben Bestellungen aus anderen sozialistischen Staaten inklusive der Sowjetunion sogar 168 aus Kanada und 200 aus der Volksrepublik China ein. Die meisten Autos wurden nach Österreich exportiert, insgesamt 435. Der Tatraplan wurde aufgrund seines Erfolgs im Ausland zu einem Devisenbeschaffer der kommunistischen Regierung der Tschechoslowakei ab 1948, erwies sich aber auch im Inland als überraschend erfolgreich.“

Der Tatraplan ist fahrbereit hergerichtet worden, die dankbare Mechanik stellt keine unlösbaren Aufgaben; die Karosserie ist lediglich vom Rost befreit und harrt der Fantasie eines künftigen Besitzers. Wer im Käfer Autofahren gelernt hat, empfindet (neben dem Geruch einer Vergangenheit, die sich langsam zersetzt) sofort Vertrautheit am Steuer – und wünscht sich sogleich die Käferschaltung statt des knorrigen Lenkradhebels, mit dem man jeden Gang im Getriebe suchen muss. Der Gasfuß indes detektiert das typische Loch im Drehmoment und spielt sich mit konzertiertem Lupfen und Pumpen darüber. Beide Sitzreihen sind für jeweils drei Personen gedacht, man hat es damals kuschliger gehabt – bloß gar viel Gepäck sollte man nicht mitgeführt haben. Das Abteil im Heck hat Platz, ist aber nicht so toll zugänglich, stemmt sich dafür zwischen die Reisenden und dem Treiben des Motors, was zu insgesamt drei Heckfenstern führt, eine patente Extravaganz.

(c) Jürgen Skarwan

Eine Art Stretch-Käfer

Monument des Heckmotors, wenn auch nicht des Gepäckabteils. Einstmals elegant und fortschrittlich. Österreich war Importland Nummer eins.

Name: Tatra 600 Tatraplan
Bauzeit: 1948 bis 1952
Preis: ca. 62.000 Schilling (neu)
Motor: Vierzylinder-Boxer, 1952 ccm
Leistung: 52 PS bei 4000 U/min
Gewicht: 1200 kg
0–100 km/h: nicht gestoppt
Vmax: 140 km/h (mit langem Getriebe)
Verbrauch: Koho to zajímá?

("Die Presse - Fahrstil", Print-Ausgabe, 14.11.2020)

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