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Wege in die Radikalität (und zurück): Fünf Filme zum Thema Radikalisierung

Um Terror zu verhindern, muss man Radikalisierung unterbinden. Was nur geht, wenn man ihre Mechanismen versteht. Auch Filme können hier ein Stück weit Einsicht bieten.

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Der Himmel wird warten

Von Marie-Castille Mention Schaar, 2016
Zu sehen auf Amazon

Wie geraten junge Menschen in den Bann tödlicher Ideologien? Und wie bringt man sie vom Irrweg ab, bevor es zu spät ist? Fragen, die nicht nur im Schatten von Anschlägen aufbranden. Das französische Lehr- und Warndrama „Le ciel attendra“ bietet mögliche Antworten im Kontext jener Gesellschaftsschichten, die mit extremistischen Milieus nie direkt in Berührung kommen – anhand der Parallelgeschichten zweier Teenagermädchen. Mélanie (Naomi Amarger) ist ein Scheidungskind; Mama geistesabwesend, Oma kürzlich verstorben. Die weltoffene 16-jährige sucht Nähe, Halt, Verbundenheit. Und wird fündig auf Facebook. Er nennt sich „Freigeist“, nimmt ihre Einsamkeit ernst. Schickt tröstende Tiervideos, schmeichelt, zeigt Verständnis. Dann erst kommt die Propaganda: Aus Systemkritik wird Opferpathos wird Islamismus. Und emotionale Geiselhaft. Die Mutter merkt nichts: Sozialmedien als Schleichweg ins Herz einer schutzlosen Jugend. 

Zeitgleich folgen wir Sonia (Noémie Merlant). Sie stand kurz vor der Abreise nach Syrien, wollte dort dem Kalifat zu Diensten sein. Sozialarbeiter und Familie bringen sie langsam zur Besinnung, ihr Programm wirkt wie kalter Entzug mit Liebespolster. Radikalisierung und Deradikalisierung sind in diesem Film vor allem eines: Hartnäckige Gefühlsarbeit. (and)

Sons of Denmark

Von Ulaa Salim, 2019
Zu sehen auf Amazon

Kopenhagen wird im Jahr 2025 von einem Terroranschlag erschüttert, der die bestehende Spaltung der Gesellschaft weiter vorantreibt. Der junge Muslim Zakaria (Mohammed Ismail Mohammed) radikalisiert sich – und tritt einer gewaltbereiten Untergrundbewegung bei. Er soll ein Attentat auf den rechtspopulistischen Politstar der Stunde (Rasmus Bjerg) verüben. Und wird zum Spielball in einem Machtkampf ohne Gewinner. Ulaa Salims dystopischer Thriller skizziert eine (europäische) Welt, in der es keine moderaten Kräfte mehr gibt, in der Freund-Feind-Denken vorherrscht und Zyklen der Gewalt sich verselbstständigt haben. Ein schicksalsschweres Menetekel mit schwummernder Finsterästhetik und rauem Lokalkolorit. (and)

Four Lions

Von Chris Morris, 2010
Zu sehen auf Sky

Eine Komödie über Terrorismus und den radikalen Islam, geht das überhaupt? Wie bei fast allen heiklen Themen dieser Art lautet die Antwort: Ja, solange sie gut ist – und weder pauschalisiert noch verharmlost. Eine Gratwanderung, die dem Briten Chris Morris in seinem Kultfilm „Four Lions“ vorbildlich gelingt. Vier tölpelhafte muslimische Kumpels aus Sheffield steigern sich aus Frust in die absurde Fantasie hinein, als Terrorzelle im Heiligen Krieg aktiv zu werden. Dass sie dafür zu blöd sind, zeigt sich bei der Ideenfindung (Terror-Krähen) ebenso wie beim Bekennervideo-Dreh. Was ihre Attentatsbestrebungen nicht weniger gefährlich macht. Eine Satire, aktuell wie eh und je. (and)

The Reluctant Fundamentalist

Von Mira Nair, 2012
Zu sehen auf Sky

Der Terror vom 11. September 2001 wird für einen pakistanischen Wall-Street-Aufsteiger zur Zäsur. Die danach grassierende Diskriminierung gegen Muslime, die ihm auf der Straße, in Flughäfen und am Arbeitsplatz entgegenschlägt, löst seine Wandlung zum Antikapitalisten aus: Fortan geißelt er als Professor an einer Uni in Lahore den amerikanischen Traum als Wurzel allen Übels. Regisseurin Mira Nair rekonstruiert die Radikalisierung ihres Helden in einfühlsamen Rückblenden als Resultat einer Kränkung. Sein zehn Jahre nach 9/11 geführtes Gespräch mit einem Reporter und CIA-Spitzel findet hingegen in der Atmosphäre eines rauen Polit-Thrillers statt. Der Prozess ist längst abgeschlossen und unumkehrbar. (mt) Sky

Of Fathers and Sons

Von Talal Derki, 2017
Zum Leihen oder Kaufen bei diversen Anbietern (z.B. auf Amazon ab € 3,99)

Ein trautes Heim im Frontgebiet des Syrischen Bürgerkriegs: Familienvater Abu Osama (die Mütter bleiben unsichtbar) ist Anhänger der dschihadistischen Al-Nusra-Front. Papa liebt seine acht Buben über alles. Aber Allah liebt er mehr. Auch die Kinder sollen Gotteskrieger werden. Eines von ihnen ist nach bin Laden benannt. Am 11. September hat Abu Osama frohlockt und sich einen Sohn gewünscht, wie er stolz erzählt. Gott habe seine Gebete erhört.

Doch Osamas Welt ist kein Paradies. Es herrscht ein erbitterter Kampf. Und unerbittliche Härte. Der Paterfamilias hat sie verinnerlicht. Und überträgt Sie absichtsvoll auf seine Söhne. Die Zeit der Zärtlichkeit ist abgezählt. Ein schmerzlicher Prozess, den Regisseur Talal Derki (geboren in Damaskus, zuhause in Berlin) als Dschihad-Sympathisant getarnt dokumentiert. „Of Fathers and Sons“ ist zuvorderst ein Film der (scheinbaren) Widersprüche. Liebevolle väterliche Fürsorge und gnadenlose Todesideologie. Eine zumindest in ihren Grundzügen vertraute Alltagsnormalität (Schule, Spiel, Autokaraoke) und die permanente Präsenz von Gefahr und Gewalt. Harmlose Späßchen und blutiger Ernst, Unschuld und ihre systematische Auslöschung mittels brutaler Indoktrinierung. Ein prekärer Doku-Balanceakt zwischen Distanz und Direktheit, der fassungslos zurücklässt. (and)

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