Anleitung zum länger Arbeiten

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Alternde Gesellschaft und länger arbeiten. Wer früh aus dem Job ausscheidet, belastet nicht nur den Sozialstaat, sondern stirbt auch früher. 73 könne auch ein optimales Pensionsalter sein, meint ein Experte.

ALPBACH. Länger arbeiten: Theoretisch fordern es alle, doch praktisch ist Österreich noch immer das Land der Frühpensionisten. Bei den Alpbacher Reformgesprächen gab es Antworten darauf, wie es gelingen könnte, die Verweildauer im Job zu erhöhen.

Presse

1. Lebenslange Weiterbildung

In anstrengenden Jobs, etwa beim Gerüstbau, sollten Arbeitnehmer künftig nur noch eine befristete Zeit arbeiten, sich allerdings währenddessen bereits für einen anschließenden Job qualifizieren, forderte die deutsche Altersforscherin Ursula Staudinger (siehe das Interview auf Seite 2). AMS-Vorstand Johannes Kopf kann diesem Vorschlag im „Presse“-Gespräch einiges abgewinnen. Allerdings müsse dafür eine Erwachsenenbildung geschaffen werden, die nicht nur im Falle von Arbeitslosigkeit greife. Die müsse modul-artig, also quasi scheibchenweise passieren. Der besagte Gerüstebauer könnte sich damit Schritt für Schritt als Solaranlagentechniker qualifizieren.

Zustimmung kommt von Bildungswissenschaftler Peter Faulstich. Er spricht sich für eine „Lernzeit“ aus – als einen dritten Bereich neben Arbeitszeit und Freizeit. „Der Mensch ist kein Wesen, das auf eine Tätigkeit fixiert ist. Aber wenn man über seine Zeit herrscht, macht man ihn lernunfähig. Wenn man das nicht will, muss die Arbeitsbedingungen ändern.“

2. Gelockerter Kündigungsschutz

Firmen in Österreich schrecken vielfach davor zurück, Arbeitnehmer über 50 neu einzustellen, weil man sie schwerer los wird als junge. Der Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer solle nur bei längerer Verweildauer im Betrieb greifen, wünscht sich AMS-Chef Johannes Kopf.

3. Anders arbeiten jenseits der 60

Wer jenseits der 60 noch aktiv ist, hat meist optimale Arbeitsbedingungen wie etwa ein Universitätsprofessor. Gerade für Ältere sei daher Zeitautonomie ein wichtiger Faktor, um im Job zu bleiben, sagt Staudinger. Die größten Zweifler, dass längeres Arbeiten so ohne Weiteres möglich ist, sitzen in der Gewerkschaft. ÖGB-Präsident Erich Foglar sagt zur „Presse“: Wer wolle, dass Arbeitnehmer später in Pension gehen, müsse zuerst den Druck aus den Jobs nehmen. Und dieser sei in den vergangenen Jahren eklatant gestiegen, auch bei „normalen“ Bürojobs. So hätten Bankbeamte selbst in der Krise die gleichen Zielvorgaben, wie viele Produkte sie an den Kunden verkaufen müssen, zu erfüllen. Foglar wünscht sich außerdem mehr Prävention gegen Burnout und bessere Maßnahmen gegen Mobbing am Arbeitsplatz. Auch beim „Jugendwahn“ müsse es ein Umdenken in den Firmen geben, meint Foglar. Außerdem seien viele Arbeitsmarktprobleme in Österreich über Pensionierungen gelöst worden. Das könne man ja durchaus ändern. Nur bei einem Punkt kennt Foglar keine Kompromisse: Wer 45 Jahre gearbeitet habe, solle ein Recht auf Pension haben.

4. Falsche Anreize beseitigen

Derzeit gebe das Sozialsystem die falschen Anreize, sagt Wirtschaftswissenschafter Helmut Kramer. Wer früher in Pension gehe, würde belohnt, während späteres Austreten bestraft würde. „Wir müssen das umdrehen und dafür sorgen, dass es sich auszahlt, Leistung zu erbringen. Im Moment will die Mehrheit der Bevölkerung nicht länger arbeiten.“ Um Arbeitnehmer zu mehr geistiger Aktivität zu ermuntern, fordert er verpflichtende „Nachschulungen“, und zwar „15, 20 und 25 Jahre nach dem primären Schulabschluss.“

5. Die Stärken von Älteren erkennen

Ältere Arbeitnehmer werden in der heutigen Gesellschaft oft nur mehr über ihre Defizite betrachtet. Jedoch: „Jüngere rennen vielleicht schneller, aber Ältere kennen die Abkürzung“, sagt Bildungsforscher Faulstich. Für ihn gibt es kein optimales Pensionsalter: „Das kann 67, 70, aber auch 73 sein.“ Derzeit gebe es allerdings die „weit verbreitete Erwartungshaltung“, so Altersforscherin Staudinger, „dass man mit 55 langsam ans Auspendeln denkt“, während man sich zwischen 30 und 50 nahe an den Herzinfarkt heranarbeite, weil Karriere, die Betreuung der Kinder und der älter werdenden Eltern auf dem Programm stehe. Staudinger rät zu Sabbaticals in dieser Zeit – dafür aber Arbeiten in „höherem“ Alter. Der beste Führungskräftenachwuchs sei fünfzig, sagt sie. Man verfüge über Erfahrung und habe noch 17 Jahre Arbeit vor sich. In Österreich aber oft nur theoretisch.

Für Faulstich ist das Thema „länger Arbeiten“ letztlich ein existenzielles. „Wenn wir aus dem Erwerbsleben ausscheiden, verlieren wir einen Teil des Ich. Derzeit wollen die meisten raus aus dem Erwerbsleben und sind fünf bis zehn Jahre später tot. Die fehlende Perspektive heißt, dass man früher stirbt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2010)

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