Altersforscherin: Jeder will raus aus dem Berufsleben

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Für die Altersforscherin Ursula Staudinger ist ein späterer Pensionsantritt notwendig, das Senioritätsprinzip gehört weg. Aber auch Älteren soll der Job Spaß machen - und dazu muss sich unsere Arbeitswelt ändern.


„Die Presse": Das Thema Pensionsalter ist in Deutschland umstrittener denn je: Die Gewerkschaften wollen die Erhöhung auf 67 Jahre stoppen, die SPD will sie verzögern, die Wirtschaft will die Rente erst ab 70. Was sagen Sie als Altersforscherin dazu?


Ursula Staudinger: In dieser Diskussion werden zwei Dinge in einen Topf geworfen. Wir haben mittelfristig gar keine andere Wahl, als das Pensionsalter zu erhöhen. Wenn wir den Wohlfahrtsstaat erhalten wollen, kommt bei der Rentenformel eine bestimmte Zahl raus, und im Moment ist das die 67. Wenn wir das in die Zukunft projizieren, landen wir sogar bei 70. Eine ganz andere Frage ist, was wir schon heute für ältere Menschen tun können, um ihre Arbeitsfähigkeit zu bewahren. Die Rente mit 67 „zieht" ja erst für die heute 46-Jährigen - da ist eine Frist, in der Dinge geschehen können und sollen.

Was soll geschehen? Man redet viel vom sinnstiftenden Wert der Arbeit, aber tatsächlich sind die meisten heilfroh, wenn sie in Frühpension gehen können...


Staudinger: Die Abnutzungen lassen die Lust verschwinden. Jeder will raus aus dem Berufsleben. Es muss mehr Abwechslung geben, die Arbeitszeiten müssen flexibler sein, stärker durchbrochen von Phasen für Bildung und Privatleben. Ein leichterer Ein- und Ausstieg erregt auch weniger Angst. Heute hat man das Gefühl: Ich muss an meinem Job festhalten, froh sein, dass ich einen habe - und je älter wir werden, desto stärker wird dieses Gefühl.

Mit dem Alter wachsen aber auch die Unterschiede: 60-Jährige können wie 40-Jährige wirken, aber auch wie 80-Jährige. Ist es da noch sinnvoll, beim Pensionsalter alle über einen Kamm zu scheren?


Staudinger: Es hat schon einen großen Vorteil, einen Zeitpunkt für alle zu haben. Das schützt die Menschen davor, nachweisen zu müssen, dass sie nicht mehr können. Sonst müsste man ja Kompetenztests einführen, tief in die Privatsphäre eindringen, um den Unterschieden auf die Schliche zu kommen. Dennoch soll man den Übergang in die Pension flexibler gestalten: mit Abschlägen, wenn man früher geht, und hoffentlich Belohnungen, wenn man später geht. Dazu muss es Veränderungen geben, steuerlich und bei der Krankenversicherung.

Allgemein herrscht die Meinung vor: Ältere Arbeitnehmer sind weniger leistungsfähig. Stimmt das?


Staudinger: Viel davon ist ein Vorurteil, das zeigt die Forschung. Es ist nicht wahr, dass Ältere nicht mehr lernen können. Allerdings nimmt mit größerer Erfahrung der Drang ab, Neues aufzusaugen. Deshalb müssen wir Anreize setzen, die deutlich machen, wieso es interessant und wichtig sein kann, sich mit Neuem zu beschäftigen. Die Älteren bringen auch Stärken mit, vor allem im Miteinander. Wir werden mit der Zeit emotional stabiler, zuverlässiger, loyaler und geben Erfahrungen lieber weiter. Das müssen wir besser nutzen und verzahnen mit den Stärken der Jüngeren.

Was empfehlen Sie einem Personalchef konkret? Ehrgeizige Junge, eigensinnige Ältere - das kann ja auch zu Konflikten führen.


Staudinger: Die Atmosphäre im Unternehmen muss deutlich machen: Wir sind an den Stärken jeder Altersphase interessiert. Es gibt kein optimales Alter für Produktivität, und wir wollen Stärken nutzen und Schwächen kompensieren. Das heißt auch: Ältere anders einsetzen, damit sie die Hierarchie nicht blockieren, aber sich auch nicht abgeschoben fühlen.

Wie setzt man sie am besten ein?


Staudinger: Sie können beraten, als Mentoren arbeiten. Man kann Kompetenzen für andere Bereiche nutzen. Es kann Seitwärtskarrieren geben, nicht immer nur bergauf. In uns ist tief verankert, dass wir keine finanziellen Einbußen wollen. Es darf nur mehr werden. Pervertiert ist das im öffentlichen Dienst, in dem man - früher zumindest - einfach nur dort sitzen und älter werden musste, um immer mehr zu verdienen. Dieses Senioritätsdenken muss aufhören. Bezahlt muss nach Kompetenz und Leistung werden. Das Unternehmen hat zu entscheiden: Was ist mir dieser Mensch wert? Heute ist es noch ein Gesichtsverlust zu sagen: Ich mach das für weniger Geld. Künftig wird es vielleicht auch mehr um Spaß, Lust und Abwechslung gehen.

Aber ist es für Mittfünfziger nicht auch typisch und legitim zu sagen: Ich hab schon so viel erlebt und erlitten, ich will mich nicht mehr verändern?


Staudinger: Heute ist das noch typisch. Sicher: Wir sind bequem, und wenn wir wissen, wie der Hase läuft, ist das einfacher, als wenn wir uns neu zurechtfinden müssen. Aber es nicht fair zu sagen: Die wollen ja gar nicht. Unser starres Berufsleben muss sich so ändern, dass schon den ganz Jungen klar ist: Was ich vor mir habe, ist nicht ein Beruf bis zur Pension, für den ich fertig ausgebildet wurde, sondern eine spannende Odyssee, eine abenteuerliche Reise, auf der sich meine Kompetenzen weiterentwickeln und auf der ich erst später sehe, was ich alles tun, wo ich etwas beitragen kann. So ein Mensch wird mit 50 ganz anders sein als jemand, der 30 Jahre lang das Gleiche gemacht hat. Heute gehört ein Wechsel der Aufgaben nur in privilegierten Berufen dazu. Aber wir reden ja von der breiten Bevölkerung.

In Deutschland und Österreich ist das faktische Pensionsantrittsalter viel niedriger als in Schweden, Dänemark oder der Schweiz. Wie schaffen diese Länder die richtigen Anreize?


Staudinger: Ländervergleiche sind gefährlich. Politik entsteht auch aus Mentalitäten und gewachsenen Kulturen. Die lassen sich nicht so einfach verpflanzen. Wer es versucht, erreicht oft sogar das Gegenteil von dem, was er wollte. Aber man sollte sich schon informieren. In Dänemark gibt es einen viel flexibleren Arbeitsmarkt, das lebenslange Lernen wird anders finanziert. In der Schweiz kann man seine Arbeitszeit flexibel bestimmen - alles zwischen null und hundert Prozent. Und die Arbeitgeber sind bereit, dafür Lösungen zu finden. Bei uns heißt es sofort: Da habe ich Reibungsverluste, Produktivitätseinbußen, wenn ich eine Stelle teile. Das ist völlig falsch gedacht. Denn wenn zwei Menschen so viel arbeiten, wie sie wollen, sind sie wesentlich produktiver als einer, der mehr machen soll, als er wirklich will.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2010)

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