Damals schrieb

Russische Brandfrage

Wien, 17. November 1870.

Klar ist, daß die Ansicht über das außerordentliche, gewaltsame Auftreten Rußlands überall dieselbe ist. Ihr eine den Umständen vollkommen angemessene und nichts im voraus bloßstellende Form zu geben, das ist die Aufgabe der Cabinette von Wien, London, Konstantinopel und Florenz, und erst wenn darüber Sicheres und Verläßliches bekannt sein wird, dürfte ein Urtheil zulässig sein. Der russische Staatskanzler wußte, was er that, und macht sich nicht auf eine rasche Abwicklung der von ihm in die Welt hineingeschleuderten Brandfrage gefaßt.

Auch verliert er nichts, wenn einige Zeit vergeht, denn auf eine sofortige Action kann es von russischer Seite im jetzigen Augenblick kaum abgesehen sein. In dieser Jahreszeit dürfte der Marsch nach dem Balkan mit sehr großen Schwierigkeiten verbunden sein, und andererseits ist es wol zweifelhaft, ob eine russische Flotte im Schwarzen Meere schon in solcher Stärke vorhanden ist, um der türkischen Panzerflotte im Bosporus die Spitze bieten zu können. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird also noch eine geraume Zeit vergehen, bis man zu einer Entscheidung in dem einen oder anderen Sinne gelangt ist und bis dieselbe der öffentlichen Meinung klar geworden sein wird. Gewiß scheint zu sein, daß das englische Cabinet im ersten Augenblicke die Sache sehr matt aufnahm, und die Andeutungen, welche wir bereits aus London über den Inhalt der vorläufigen Rückäußerung Lord Granville's auf die russische Eröffnung erhalten haben, werden uns auch heute bestätigt.

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