Pizzicato

Bildung kann so lustvoll sein

Clemens Fabry
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In der Corona-Verordnung werden Bibliotheken und Büchereien in einer Auflistung als Orte der Unterhaltung, Belustigung und Erholung neben anderen genannt. Etwa Vergnügungsparks. So what?

Grollen drang aus den heiligen Hallen des Wissens in der Nationalbibliothek in Wien in den von gemütstrübendem Nebel verhangenen Sonntag. Grund: Die geschätzte Chefin der Hofburg-Bücherburg, die wegen Corona deren Schließung ebenso einstecken muss wie viele andere Orte, irritierte der Entwurf der Covid-19-Notmaßnahmenverordnung. Denn dort gelten (§ 5 Z 3) Archive, Bibliotheken und Büchereien als „Freizeiteinrichtungen", die „der Unterhaltung, der Belustigung oder Erholung dienen"– in einer Reihe etwa mit Vergnügungsparks, Tanzschulen, Schaubergwerken, Paintballanlagen, Konzertsälen, Zoos und „Einrichtungen zur Ausübung der Prostitution" (!).

Diese Einordnung müsse „der Fantasie eines Witzbolds entsprungen sein", zürnte jetzt die Chefin heftig. Lesesäle der ÖNB seien doch „Orte des Studiums, des Forschens und konzentrierten Lernens".

Nun ja: Irgendwie ist's schon ein Beispiel für suboptimale Integration im Rechtssetzungsmilieu, aber so närrisch doch auch wieder nicht. Ist unsere Nationalbibliothek nicht ein Bergwerk des Wissens? Tanzparkett des Intellekts, Höhle geistiger Lust, Zoo der Weisen, Vergnügungspark für den Verstand, der sich auch fürs geistige Gefecht rüstet?

Also zwischen Vergnügen und Lernen sollte man schon keinen affektiert-elitären Keil treiben. Wenn Bildung und Wissenschaft sich so bierernst gerieren, darf man sich net wundern, wenn viele Menschen lieber Bier trinken gehen. Oder sonst wohin. (wg)

Reaktionen an: wolfgang.greber@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2020)

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