Äthiopien

Horn von Afrika vor großem Krieg

Kämpfer einer Miliz des äthiopischen Bundesstaates Amhara auf dem Weg in den Kampf gegen Truppen des nördlich angrenzenden Bundesstaates Tigray.
Kämpfer einer Miliz des äthiopischen Bundesstaates Amhara auf dem Weg in den Kampf gegen Truppen des nördlich angrenzenden Bundesstaates Tigray.REUTERS
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Der Kampf zwischen Regierungstruppen und Milizen des Bundesstaates Tigray hat weitere Teile Äthiopiens und das Nachbarland Eritrea erfasst. Das könnte noch nicht alles sein.

Addis Abeba/Asmara/Mek'ele. Der jüngst offen ausgebrochene Krieg zwischen der äthiopischen Regierung und dem abtrünnigen nördlichen Bundesstaat Tigray hat offenbar auch das Nachbarland Eritrea erfasst. Die in Tigray (Hauptstadt: Mek'ele) regierende Volksbefreiungsfront TPLF hat sich am Sonntag zu Raketenangriffen auf Asmara, die Hauptstadt des Nachbarlands Eritrea, bekannt. Mehrere Geschosse schlugen nach Diplomatenangaben am Samstag nahe des Flughafens der Stadt ein.

TPLF-Anführer Debretsion Gebremichael sagte der Nachrichtenagentur AFP zur Begründung der Angriffe, der Flughafen von Asmara werde auch von äthiopischen Truppen genutzt. Seinen Angaben zufolge würden in Asmara Flugzeuge starten, um Luftangriffe in Tigray zu fliegen. Damit sei der Flughafen ein legitimes Ziel, fügte Gebremichael hinzu.

Die Volksbefreiungsfront lehnt die Zentralregierung in Addis Abeba ab und wirft Eritrea vor, die Zentralregierung zu unterstützen. Nach eigenen Angaben kämpfte die TPLF in den vergangenen Tagen gegen „16 Divisionen“ der eritreischen Streitkräfte. Diese Angabe ist kaum überprüfbar und scheint sehr überzogen; allerdings hat Eritrea das Landheer (heute etwa 250.000 bis 300.000 Mann) Mitte der 1990er-Jahre nach der Abspaltung von Äthiopien in 24 Divisionen aufgeteilt gehabt.

Unklar war, wie viele Geschosse auf Eritrea abgefeuert wurden und welcher Schaden entstand. Der Radiosender Erena berichtete unter Berufung auf Einwohner von Asmara von vier Explosionen. Die US-Botschaft in Asmara teilte auf ihrer Internetseite mit, es gebe keine Anzeichen dafür, dass der Flughafen direkt getroffen wurde.

Kräfteverhältnisse unklar

Im Bundesstaat Tigray (etwa sechs Millionen Einwohner) gibt es seit Monaten Spannungen. Die dort herrschende TPLF erkennt den äthiopischen Regierungschef, Abiy Ahmed (44), nicht an. Erst im Vorjahr wurde dieser für den von ihm ausgehandelten Frieden mit Eritrea, das mit Äthiopien lang im Kriegszustand war, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Anfang November sandte er Kräfte der nationalen Armee nach Tigray. Dadurch entbrannte der militärische Konflikt zwischen den Truppen der Zentralregierung in Addis Abeba und den Kämpfern der TPLF vollends. Die Kräfteverhältnisse sind schwer zu eruieren, da es auch keine klare „Buchhaltung“ gibt. Die eher einfach und infanteristisch bewaffneten Kräfte der TPLF wurden zuletzt auf mehr als 200.000 Mann geschätzt, die Regierungsstreitkräfte Äthiopiens auf mehr als 500.000. Die Zahlen sind auch deshalb sehr volatil, weil einzelne Stämme und Völker Äthiopiens (ca. 112 Millionen Einwohner) sehr leicht Milizen aufstellen können, die diese oder jene Seite unterstützen.

Äthiopiens Regierungschef hatte zuletzt erklärt, die Kämpfe um Tigray würden bald vorbei sein. Tatsächlich könnte sich der Konflikt aber ausweiten und große Teile Ostafrikas destabilisieren, mit Folgen etwa auch für den Sudan und Südsudan, Djibouti, Somalia, und sogar jenseits des Roten Meeres im Jemen. Tigrays Volksbefreiungsfront hatte sich am Samstag auch zu Bombardements im südlich an Tigray grenzenden Bundesstaat Amhara bekannt. Nach Angaben eines Arztes wurden dort zwei Soldaten getötet und 15 verletzt.

Der Staat Amhara (mindestens 22 Millionen Einwohner) wird sicher in den Konflikt zwischen Tigray und der Zentralregierung hineingezogen werden, denn Tausende Milizen sind von dort aus bereits auf dem Weg nach Tigray, um die Regierungstruppen zu unterstützen.

Fluchtwelle in den Sudan

Die äthiopische Menschenrechtskommission EHRC berichtete am Sonntag von mindestens 34 Opfern bei einem Anschlag auf einen Bus in der westäthiopischen Region Benishangul-Gumuz. Der Hintergrund war zunächst unklar.

Amnesty International sprach von einem Massaker an Zivilisten in Tigray mit Hunderten Toten. Die Verantwortlichen für den Angriff in der Stadt Mai-Kadra waren unbekannt. Zehntausende sind aus Äthiopien in den benachbarten Sudan geflohen. (ag./wg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2020)

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