Spectrum

Warum wir von der Sozialdemokratie enttäuscht sein müssen

Die sozialdemokratischen Erfolge haben aus Proletariern Kleinbürger gemacht; und die haben nun einiges zu verlieren.
Die sozialdemokratischen Erfolge haben aus Proletariern Kleinbürger gemacht; und die haben nun einiges zu verlieren. Wolfgang Freitag
  • Drucken

Ob Globalisierung, Ökologie- oder Frauenbewegung: Die SPÖ reagierte allzu oft zu spät auf gesellschaftlichen Wandel. Die alten Männer und die Partei: Bilanz eines Insiders.

Ralf Dahrendorfs Diagnose vom „Ende des sozialdemokratischen Zeitalters“, 1983 gestellt, hat viel für sich. Die Sozialdemokratie hat in Europa – jedenfalls im demokratischen Europa – die gesellschaftliche Richtung vorgegeben. Sie hat entscheidend dazu beigetragen, dass die pluralistische, die liberale Demokratie sich in jeder nur denkbaren Hinsicht der „Volksdemokratie“ des eben nicht demokratischen Sozialismus überlegen zeigte. Die Menschen – alte und junge, Arbeiter und Studierende, Frauen und Männer: Wenn sie die dafür erforderliche Freiheit hatten, zogen sie in den Jahrzehnten nach 1945 von Ost nach West – und nicht von West nach Ost. Der Eiserne Vorhang war nicht dazu da, „Agenten des Imperialismus“ abzuwehren. Er sollte die Massenflucht in die westlichen Demokratien verhindern. Dieses eindeutige Urteil der Geschichte war auch ein Verdienst der Sozialdemokratie.

Aber deren Ära ging – so Dahrendorf – bereits dem Ende zu, als die UdSSR implodierte. Der Verlust an sozialdemokratischer Hegemonie war nicht das Produkt der Erfolglosigkeit sozialdemokratischer Parteien. Die Sozialdemokratie verlor an politischer Deutungshoheit, weil viele ihrer substanziellen Erfolge selbstverständlich geworden waren: eine fast flächendeckende soziale Sicherheit auch in Form einer umfassenden Gesundheits- und Altersvorsorge, ein zumindest bescheidener Wohlstand für fast alle und – ganz wesentlich – die Garantie der individuellen Freiheiten, die noch eine oder auch zwei, drei Generationen zuvor mühsam zu erkämpfen und zu verteidigen waren. Den meisten Menschen in den (westlichen) Demokratien Europas ging es am Ende des sozialdemokratischen Zeitalters materiell besser als je zuvor, und sie hatten sich noch nie so frei und selbstbestimmt fühlen können.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.