Experten: Massentestungen sind "großes Experiment"

Experten fordern "unkonventionelles und unbürokratisches Denken“, befürchten viele falsch positive Tests und halten den Zeitpunkt der Testung für entscheidend.

Im Schnelltesten möglichst großer Bevölkerungsteile sieht die Bundesregierung die Chance auf einen nach dem neuerlichen Lockdown möglichst normalen Ablauf der Weihnachtszeit. Wie man den von der Slowakei entlehnten Ansatz hierzulande umsetzen möchte, ist aber noch völlig offen. Für den Mikrobiologen Michael Wagner könnte ein Massentest als eine Art "Wellenbrecher" fungieren. Auf jeden Fall wäre ein solches Programm ein "großes Experiment“.

In der Slowakei war zuletzt die gesamte Bevölkerung im Alter von zehn bis 65 Jahren zu Covid-19-Schnelltests aufgerufen. An der ersten Runde nahmen 3,6 Millionen der 5,5 Millionen Einwohner teil. Wer kein negatives Testergebnis vorweisen konnte, war von einer strikten Ausgangssperre betroffen und durfte nicht in die Arbeit gehen. Ob es sich in Österreich um flächendeckende Tests nach slowakischem Vorbild oder um verstärkte "Screenings" bestimmter Zielgruppen oder Regionen handeln soll, konnte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Montag noch nicht sagen.

Eine Frage der Testmethode

Für Michael Wagner von der Universität Wien, der wissenschaftlicher Koordinator der in diesem Schuljahr laufenden SARS-CoV-2-Monitoringstudie an Volksschulen, Mittelschulen und AHS-Unterstufen mittels Gurgeltests ist, ist auch der möglichst flächendeckende Ansatz interessant. Hier stellt sich laut Wagner zuerst die Frage der Testmethode. Antigen-Schnelltests seien vermutlich im ausreichenden Maß vorhanden. Sie haben jedoch den Nachteil einer eingeschränkten Genauigkeit.

Zwar werden Menschen mit hoher Viruslast in der Regel gut erkannt, perfekt sei das Verfahren aber auch hier nicht. "In aller Regel ziehe ich damit aber schon viele heraus - gerade von jenen, die viele Viren im Rachen tragen", sagte Wagner. Besser wären laut dem Forscher neue Methoden mit raschen und sensitiveren PCR-Tests, ob sich das zeitlich irgendwie ausginge, könne er aber nicht beurteilen. Wichtige Fragen müsse man sich auch zur Logistik stellen. Wagner: "Man will ja vermeiden, bei solchen Testungen viele Leute zusammenzubringen." Bei der Gurgelmethode könnte man Proben theoretisch auch zuhause nehmen und beispielsweise nach Haushalten gesammelt abgeben.

Wird tatsächlich mehr oder weniger die gesamte Bevölkerung getestet, ist auch davon auszugehen, dass der allergrößte Teil keine Covid-19-Infektion trägt. Rein statistisch gesehen kommt es bei derart vielen Testungen dann zu falsch positiven Ergebnissen. Auch aus diesem Grund sprach sich die Österreichische Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (ÖGIT) im Oktober gegen "ungezielte Massentestungen" aus. Auch ein negatives Ergebnis sei nur eine Momentaufnahme, argumentierte damals der Verband.

Bei falsch positiven Ergebnissen handle es sich um ein "sensitives" Thema, so auch Wagner, vor allem, wenn nur mit einem Test getestet wird. Im Gegensatz zu PCR-Tests, bei denen verschiedene Tests miteinander kombiniert werden, um falsch Positive nahezu auszuschließen, wird man "bei Antigentests einen bestimmten Anteil falsch Positiver mitziehen. Damit kann man wahrscheinlich irgendwie leben, man muss sich dessen nur bewusst sein." Wenn einzelne Getestete fälschlich in Quarantäne müssen, sei das zwar im Einzelfall höchst unangenehm, im Vergleich zum Preis der Pandemie jedoch nicht so schlimm: "Es ist ein Screening. Man hat es ja nicht mit Schwerkranken im Krankenhaus zu tun."

Es brauche nun tatsächlich "unkonventionelles und unbürokratisches Denken", Geschwindigkeit und Durchsatz, um der Pandemie nicht nur mit harten Lockdowns zu begegnen. Es sei aber insgesamt schade, dass der Sommer nicht zur Planung solcher Aktionen genutzt wurde, so Wagner.

Kein Langzeitschutz

Auch Gerald Gartlehner, Experte für Evidenzbasierte Medizin von der Donau-Universität Krems, wies am Montag im Ö1-Mittagsjournal auf das Problem falsch positiver Antigen-Schnelltests hin: Bei geschätzten rund fünf Millionen Tests österreichweit könnten rund 150.000 falsch positive Ergebnisse herauskommen. Man müsse daher "sehr genau abwägen, ob das wirklich Sinn macht", so der Wissenschafter, der Massentestungen in der Gesamtbevölkerung skeptisch gegenübersteht.

Die Wirkung solch großflächiger Aktionen lasse sich insgesamt noch schwer beurteilen, so Wagner. In China etwa verfolgt man so eine Strategie schon bei kleineren SARS-CoV-2-Ausbrüchenrüchen. Dort wird auf Test-Pooling gesetzt. Offenbar sei man damit relativ erfolgreich, "sie machen das allerdings mit PCR-Tests", betonte der Wissenschafter, der glaubt, dass "Massentests wirken können, indem Infektionsketten kurzfristig durchbrochen werden. Einen Langzeitschutz hat es natürlich nicht".

Bei derartigen Maßnahmen handelt es sich natürlich um eine Einmal-Intervention. Um über einen längeren Zeitraum tatsächlich jene Personen aus der epidemiologischen Gleichung zu nehmen, die in der Lage sind, viele Menschen mit Covid-19 anzustecken, müssten die wie immer gearteten Programme in gewissen Abständen wiederholt werden. So etwas mehrfach zu wiederholen, sei sicher schwierig. In der weiteren Folge brauche es eine smarte Teststrategie, die Bereiche wie das Gesundheitssystem, die Altersheime oder Schulen und Co ansichert, so Wagner: "Das kann kein populationsweites Screening sein, das man dann so und so oft wiederholt."

In „aktiven Phasen“ testen

Für den Simulationsforscher Niki Popper von der Technischen Universität (TU) Wien müsste man sich genau überlegen, zu welchem Zeitpunkt in der Pandemieentwicklung man ein solches Screening einsetzt. Möchte man viele aktiv Erkrankte und etwaige "Superspreader" aus den Kontaktnetzwerken bringen, müsse man in "aktiven Phasen" testen. Führt man so ein Programm nach einem Lockdown durch, könne man zumindest kontrollieren, wie gut man bevölkerungsweit liegt. Popper betonte gegenüber Ö1 erneut, dass es zur nachhaltigen Eindämmung der Pandemie auch eine nachhaltige Tests-Strategie und deutlich mehr zusätzliche Ressourcen beim Tracing brauche.

(APA)

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