Interview

„Nur die Arbeit der Menschen in den Betrieben garantiert den Sozialstaat“

INTERVIEW LH HERMANN SCHUeTZENHOeFER
INTERVIEW LH HERMANN SCHUeTZENHOeFER(C) Erwin Scheriau
  • Drucken

Die Wirtschaftsdaten der Unternehmen könne man nicht beeinflussen, sagt Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer. Aber die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.

Zu Beginn der Krise im März hat die Bundesregierung die Parole ausgegeben: „Koste es, was es wolle.“ War das richtig?

Hermann Schützenhöfer: Natürlich war ich als gelernter Kaufmann nicht glücklich über diese Aussage, aber klar ist: Wir müssen alles tun, um die Wirtschaft zu unterstützen, Arbeitsplätze zu sichern, damit wir alle gut durch diese Krise kommen.

Zum 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket, das im Frühling geschnürt wurde, kommen im zweiten Lockdown noch einmal rund drei Milliarden. Hat die Regierung auf die richtigen Hilfen gesetzt?

Ja, denn die Bundesregierung hat unter Einbindung der Sozialpartner rasch Hilfspakete ausgearbeitet – das war richtig und wichtig.

Gibt es etwas, was Sie lieber anders gehabt hätten?

Ich bin niemand, der im Nachhinein sagt, dieses und jenes hätte man besser oder anders machen sollen. Wo gehobelt wird, fallen Späne, aber ich denke, im Großen und Ganzen haben die Wirtschaftspakete bis jetzt gut funktioniert.

Wir sind mitten im zweiten Lockdown. Ökonomen haben vor diesem gewarnt, das sei fatal für die Wirtschaft. Die Wachstumsprognosen wurden auch prompt nach unten korrigiert. War es richtig, das Land noch einmal herunterzufahren?

Covid-19 stellt für Wirtschaft und Arbeitsmarkt eine der größten Bewährungsproben dar, die es in den letzten Jahrzehnten in Österreich gegeben hat. Mehr denn je braucht es jetzt ein gemeinsames entschlossenes Handeln. Nur wenn die Infektionszahlen sinken, kann sich die Wirtschaft wieder erholen.

Sie haben als Erster dafür plädiert, dass es Kontrollen auch im privaten Bereich geben soll. Solche Eingriffe sind mitunter auch rechtlich bedenklich. Wo zieht man die Grenze zwischen Freiheit und staatlicher Kontrolle?

Ich wollte nie im Privatbereich schnüffeln, sondern einen verfassungsrechtlich gangbaren Weg finden, um die vielen Infektionen im Privatbereich zu reduzieren. Die Steiermark war dann vorbereitet, ähnlich wie Salzburg oder Oberösterreich eine eigene Verordnung zu machen. Darin sollten Keller, Garagen etc. explizit vom gesetzlichen Wohnraum ausgenommen sein, damit Kontrollen möglich wären. Der Bund hat die Regelung nun in die Verordnung aufgenommen. Damit ist ja alles gesagt.

Die steirische Wirtschaft ist stark in der Forschung engagiert. Fürchten Sie, dass das wegen der Krise zurückgefahren wird?

Im Gegenteil, gerade jetzt ist in vielen Bereichen ein Umdenken und Neudenken gefordert. Wer wäre dazu besser geeignet als wir in der Steiermark? Wir sind das Land der Innovation und das Forschungsland Nummer eins. Das haben wir auch in der Covid-19-Krise gezeigt. In kürzester Zeit konnten viele Unternehmen Produkte entwickeln, die uns im Kampf gegen Covid unabhängiger vom Weltmarkt machen. Ein Beispiel ist die Firma Hage, die ein Notfallbeatmungsgerät entwickelt hat. Großartig, was hier in Zusammenarbeit mit Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft entstanden ist.

Die steirische Wirtschaft ist stark in der Automobilzulieferindustrie. Die Branche war schon vor der Pandemie angeschlagen. Wie hart setzt Corona den Firmen zu?

Die Coronakrise ist für die steirische Automobilindustrie wie auch für andere Industriesparten eine enorme Herausforderung. Wesentlich ist auch für diesen Bereich, dass die steirischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen nachhaltig auf Zukunftsfelder setzen und hier mit Innovationen internationale Vorreiter sind. Mit Lösungen in den Bereichen Digitalisierung, autonomes Fahren, alternative Antriebe, und auch in Bezug auf eine nachhaltige Mobilität sind wir bestens für die Zeit nach der Krise gerüstet. Kurzfristig steht für die Industrie die Erholung des durch Corona geschwächten Absatzmarktes im Vordergrund. Die Mobilitätsbranche befindet sich in einem Umbruch, von dem unsere Betriebe allerdings profitieren werden, denn Innovationen wie automatisiertes Fahren sind in der Steiermark bereits Realität.

Zum steirischen Autocluster zählen mehr als 180 Betriebe, die Branche ist enorm wichtig für den Wirtschaftsstandort Steiermark. Haben Sie Informationen, wie viele der Betriebe nun in der Krise ernsthaft straucheln?

Wir sind zuversichtlich, dass unsere Unternehmen diese Krise gut überstehen und langfristig auch weiter wachsen werden. Die international herausragende F&E-Quote (Forschung und Entwicklung, Anm.)von über zwölf Prozent bei Unternehmen des Mobilitätsclusters ACstyria ist eine „steirische Mobilitätsgarantie“ für die Zukunft.

Im oberösterreichischen Steyr steht eine Fabrik des Lkw-Bauers MAN vor der Schließung. In der Steiermark gibt es zahlreiche Industriebetriebe, Magna, AVL, Andritz, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Fürchten Sie, dass es auch in der Steiermark zu einem großen Jobabbau kommt – oder gar zu Werksschließungen?

Nur die Arbeit der Menschen in den Wirtschaftsbetrieben und nicht die Politik garantiert, dass unser Sozialstaat lebt. Wir werden die richtigen Rahmenbedingungen für die Betriebe schaffen, wie sich die Zahlen in den Betrieben entwickeln, können wir nicht beeinflussen.


Die Voestalpine hat schon angekündigt, in der Steiermark 500 Jobs abzubauen, ATB schließt und hat 360 Mitarbeitern gekündigt. War das gar nur der Auftakt?

Ich kann nichts voraussagen. Wir tun alles. Nur wenn sich die Wirtschaft entwickelt, entstehen Arbeitsplätze. Nichts sonst garantiert den sozialen Frieden im Land.

Wir steuern auf Rekordarbeitslosigkeit zu, gleichzeitig sagen viele Betriebe, dass sie sich bei der Suche nach Fachkräften schwertun. Was läuft falsch?

Eine staatliche Rundumversorgung von der Wiege bis zur Bahre konnten wir uns schon vor dieser Krise nicht mehr leisten. Jeder Mensch muss von sich aus arbeiten wollen. Wer arbeitet, darf nicht der Dumme sein. Das Ungleichgewicht entsteht zwischen dem niedrigen Lohn für Arbeit und der lukrativen Mindestsicherung.

Der Fachkräftemangel verschärft sich, da in der Krise weniger Menschen aus Osteuropa zum Arbeiten nach Österreich kommen. Wie können die Unternehmen sicherstellen, dass sie dauerhaft genug Arbeitskräfte haben?

Wir grenzen direkt an Slowenien und Ungarn, auch Kroatien ist nicht weit entfernt. Deshalb haben wir viele Tagespendler und Tagespendlerinnen aus diesen Ländern, die in der Steiermark in der Industrie, Pflege, Gastronomie und Landwirtschaft arbeiten. Auch bei den zwischenzeitlichen Grenzschließungen haben wir uns dafür eingesetzt, dass sie weiter einreisen können, da sie ein wesentlicher Teil unserer Wirtschaft sind. Das ist uns gelungen, deshalb hatten unsere Betriebe noch keine größeren Probleme.

Nach der Krise wird es ein Konjunkturpaket brauchen, um der Wirtschaft zum Aufschwung zu verhelfen. Was soll da drin sein? Welche Art von Unterstützung braucht es dann?

Ich bin kein Wirtschaftsexperte, aber ich bin mir sicher, dass die Regierung weitere Pakete für die Zeit nach der Pandemie mit den jeweiligen Expertinnen und Experten vorbereiten wird. Alles, was hilft, damit unser Wirtschaftsstandort wieder Fahrt aufnimmt, ist sinnvoll. Aber wir können nicht unendlich Geld ausgeben, das wir gar nicht haben.

Die Corona-Kurzarbeit läuft seit März für zumindest ein Jahr. Soll sie im Anschluss noch einmal verlängert werden?

Wir haben eines der weltweit besten Kurzarbeitsmodelle. Es wurde verlängert, um Jobs zu erhalten.

Vor einem Jahr haben Sie das Ziel ausgegeben, in den nächsten ein, zwei Jahren in der Steiermark zum Nulldefizit zu kommen. Nun steigen die Schulden 2021 um 668 Millionen Euro auf 5,3 Milliarden Euro. Wann wird die Steiermark wieder in Richtung Nulldefizit gehen?

Die Auswirkungen der Krise werden uns noch jahrelang beschäftigen, auch das Land Steiermark. Wir haben als Landesregierung in den letzten Jahren viel umgekrempelt und hätten bereits 2021 die schwarze Null im Budget erreicht – aber jetzt heißt es, unsere wertvollen Strukturen gerade durch neues Schuldenmachen zu erhalten.

Die ÖVP hat ihr Ergebnis bei der Wien-Wahl verdoppelt. Aber es war trotzdem rasch klar, dass aus einer Regierungsbeteiligung nichts wird. Hat sich die Wiener ÖVP zu wenig darum bemüht?

Ich habe gehofft, dass der Wiener Bürgermeister nicht den Verlockungen bequemer Koalitionen erliegt, sondern die beschwerlichere Zusammenarbeit mit der ÖVP, die phänomenal zugelegt hat, sucht. Im Interesse Wiens und Österreichs – leider hat er sich für einen anderen Weg entschieden.

Ist die große Koalition ein Auslaufmodell?

In der Steiermark haben wir eine Koalition mit der SPÖ, und die funktioniert gut. Wir haben vor zehn Jahren gemeinsam einen neuen Weg beschritten: den der Zusammenarbeit, der Partnerschaft. Der steirische Weg war immer der Weg des Gestaltens.

Zur Person:

Hermann Schützenhöfer (68) ist seit Juni 2015 Landeshauptmann der Steiermark. Nach einer kaufmännischen Lehre ging er bereits 1970 in die Politik. Zunächst war er Landessekretär und Landesobmann der Jungen ÖVP Steiermark, dann im ÖAAB. Von 1981 bis 2000 war Schützenhöfer Abgeordneter zum steiermärkischen Landtag und Klubobmann des ÖVP-Landtagsklubs. Ab dem Jahr 2000 bekleidete er das Regierungsamt eines Landesrats. Von 2005 bis 2015 fungierte er als Erster Landeshauptmann-Stellvertreter. Am 16. Juni 2015 übernahm er das Amt des Landeshauptmanns neben Stellvertreter Anton Lang (SPÖ).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.