Revitalisierung

Gesucht: Ein Plan B für Erdgeschoße

Leere Geschaeftslokale
Leere Geschaeftslokale(C) Elke Mayr
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So manches Erdgeschoß steht leer – mit negativen Folgen für Gebäude, Grätzel und Stadt. Die Aktivierung dieser Flächen erfordert allerdings Flexibilität und Kreativität.

Die Entwicklung ist in großen Städten, aber auch kleinen Dörfern nicht zu übersehen: Dort, wo früher Handel getrieben, Dienstleistungen angeboten oder Werkstätten betrieben wurden, herrscht vielerorts gähnende Leere. „Bereits vor der Coronakrise haben Entwicklungen wie Verschiebungen im stationären Einzelhandel, die stärkere Bedeutung von Gastronomie oder enorm steigende Grundstücks- und Baukosten dazu geführt, dass sich Erdgeschoßlagen verändert haben“, sagt Andreas Schulten, Generalbevollmächtigter der Bulwiengesa AG. Das deutsche Immobilienanalyse-Unternehmen Bulwiengesa hat vor Kurzem gemeinsam mit den Projektentwicklungsunternehmen Ehret + Klein, Hamburg Team und Interboden sowie der Bundesstiftung Baukultur die Studie Erdgeschoße 4.0 veröffentlicht. Als weitere Gründe werden darin unter anderem baurechtliche Auflagen oder die alternde Gesellschaft mit spezifischeren Bedürfnissen angeführt. Uli Fries, Geschäftsführer der Kreative Räume Wien, Service für Leerstandsaktivierung und Zwischennutzung, nennt noch einen anderen Grund: „Teilweise sind auch die Mietvorstellungen überzogen.“ Darüber hinaus liege in Wien der Fokus eher auf Wohnungen – Geschäfte würden häufig als „lästiges Anhängsel“ betrachtet. „Deshalb suchen manche Eigentümer auch nicht sehr intensiv nach neuen Nutzern“, meint Fries, der nach eigenen Angaben zum überwiegenden Teil potenzielle Interessenten für die Erdgeschoße zu seinen Kunden zählt.

Drohende Abwärtsspirale

Die Auswirkungen sind alles andere als positiv: Nicht nur die Häuser, auch die Straßen wirken im Laufe der Zeit zunehmend verwahrlost – vor allem, wenn sich ein Leerstand an den anderen reiht. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Grätzel oder sogar die ganze Stadt, stellen die Erdgeschoßzonen aus historischer Sicht doch einen halböffentlichen Raum dar, in dem privat und öffentlich ineinander übergehen. „Das Erdgeschoß spielt somit eine wichtige Rolle für die Lebendigkeit einer Stadt. Stehen viele Flächen in einer Straße leer, ist diese nicht mehr attraktiv, es können sogar Angsträume entstehen“, sagt Fries. Ziel müsse es sein, diese Abwärtsspirale zu verhindern. Auch angesichts der Befürchtungen, dass in den nächsten Monaten wegen der Covid-19-bedingten drohenden Disruption im Handel die Zahl der leer stehenden Geschäftslokale steigen könnte, sei es wichtig, sich Nutzungen abseits desselben zu überlegen.

Eigentümer oft wenig flexibel

„Eigentümer müssen diesbezüglich flexibler werden“, sagt Reinhold Lexer, geschäftsführender Gesellschafter von Lexer Immobilien. Büros, Ordinationen, aber auch Dienstleistungsbetriebe, Unternehmen aus dem Bereich Soziales, Kultur und Kreativwirtschaft sollten verstärkt als potenzielle Nutzer in Betracht gezogen werden. „Viele davon sind in den oberen Etagen der Häuser zu finden. Würden sie ins Erdgeschoß übersiedeln, könnte dadurch wertvoller Wohnraum geschaffen werden“, betont der Experte. Der Nutzung der Erdgeschoße als Garagen, Lager oder Depot für Pakete stehen beide Experten skeptisch gegenüber: „Die Frage ist, wie lebendig ein solcher Ort sein kann“, heißt es unisono. Ein Problem, mit dem vor allem Unternehmen aus dem Kultur- und Sozialbereich zu kämpfen hätten, sei jedoch die Höhe der Mieten. „Die Budgets dieser Interessenten sind meist relativ knapp, das heißt, die Räume müssen leistbar sein“, sagt Fries. Ein wichtiges Instrument, um alternative Nutzungen zu ermöglichen, seien daher ebensolche Mietmodelle. „Dazu gehören beispielsweise verschiedene Formen der Zwischennutzung, wie Pop-up-Stores, Ateliers, Veranstaltungsräume und Ähnliches“, erläutert der KRW-Chef. Um die Planbarkeit der Projekte und getätigte Investitionen abzusichern, rät er Interessenten zu auf bestimmte Zeit abgeschlossenen Leihverträgen. „Früher wurden oft Prekariatsverträge abgeschlossen. Das Problem dabei ist, dass diese jederzeit gekündigt werden können“, sagt Fries. Eine andere Variante, beispielsweise für Start-ups, wären Staffelmieten. Allerdings sei es oft schwierig, Eigentümer auf solche Modelle einzuschwören. „Das braucht viel Überzeugungsarbeit“, sagt Fries und verweist darauf, dass der schleichende Verfall bei genutzten Räume deutlich langsamer vonstatten gehe als bei ungenutzten. Darüber hinaus würden sich Eigentümer die Betriebskosten, die sie beim Leerstand zu tragen haben, ersparen.

Der zunehmende Leerstand hat auch die Arbeit Lexers verändert. „Es geht dabei nicht nur um das Vermitteln von Geschäftsflächen, es geht vielmehr um ein Change Management“, betont der Experte, der davon überzeugt ist, dass die Revitalisierung von Städten nur über Zonen funktioniert. Um das zu beweisen, will er ein entsprechendes Pilotprojekt auf die Beine stellen. „Dafür suche ich eine Kommune und Eigentümer in einer Straße, die mitmachen.“

Auf einen Blick:

Das Büro für Leerstandsaktivierung befasst sich seit 2016 im Auftrag mehrerer Wiener Stadtratsbüros (unter anderem jenen für Kultur und Wissenschaft, für Finanzen, für Stadtentwicklung, Klimaschutz, Energieplanung und BürgerInnenbeteiligung) mit den Bereichen Leerstand und Raumnutzung.

Beraten werden sowohl Suchende als auch Eigentümer – und zwar kostenlos.

www.kreativeraeumewien.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2020)

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