Salon Real/Virtual

Diese Galerie hat immer offen

Michaela Stock hat seit kurzem einen „White Cube“ im Internet – und nutzt dafür ihre Galerie als Ort der analogen Kommunikation.
Michaela Stock hat seit kurzem einen „White Cube“ im Internet – und nutzt dafür ihre Galerie als Ort der analogen Kommunikation.(c) Die Presse/Clemens Fabry
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Michaela Stock hat ihre Kunst in den virtuellen Raum verlagert – und ihre Galerie dafür zum Wohnzimmer gemacht. Das bietet mehr Chancen als gedacht.

Eine Art Déco-Sitzgruppe, eine Anrichte, ein Schreibtisch und Bücher in der Leseecke, eine Chaise Longue, und, ganz wichtig, auf einem Tischchen eine Karaffe mit Nusslikör. Wüsste man es nicht besser, man wähnte sich im nahe gelegenen Vintage-Generationencafé Vollpension und nicht in einer zeitgenössischen Galerie.

Für die Kunst bittet Michaela Stock in den nüchternen Nebenraum. Hier hängt ein Bildschirm: Das Tor zu ihrer virtuellen Galerie. Salon Real/Virtual nennt Stock ihr neues Konzept; und dass es seine Stärken so schnell ausspielen würde, hätte sie selbst nicht gedacht. Denn natürlich ist ihre Galerie derzeit physisch geschlossen. Aber in ihren virtuellen Raum darf man immer und von überall.

Die Idee dazu kam Stock nach dem ersten Lockdown. Schon damals, erzählt sie, habe sie sich Gedanken gemacht, wie man solchen Situationen besser begegnen könnte, zumal ihre Kunden aus dem Ausland derzeit auch nicht reisen. Nachdem ihr Konzept bei einem Ideenwettbewerb der Stadt 5000 Euro gewonnen hatte, beschloss sie, es zu verwirklichen. Mit einem befreundeten Innenarchitekten ging sie auf Möbelsuche bei Carla, Glasfabrik, Willhaben; daneben machte sie sich an die Gestaltung ihre virtuellen Raums. Der ist nun der White Cube, „den ich so nie hatte“ – und der jedes Mal anders ausschauen kann: Hier kann Stock 50 oder auch 300 Quadratmeter bespielen, kann entscheiden, ob sie eine andere Wandfarbe oder Fenster will. Den virtuellen Raum zu gestalten brauche dabei mehr Zeit, als eine reale Ausstellung zu hängen.

Kunstwerke müssen fotografiert werden; brauchen digitale Rahmen und Passepartouts. Dafür kann man zu jedem Kunstwerk Informationen und Videos integrieren. Derzeit läuft hier ihre dritte Ausstellung; der Kroate Sandro Dukić zeigt analoge Fotografien aus Island, die die Leere thematisieren.

Tiefere Gespräche am Kamin

Mit jeder neuen Ausstellung ändert sich auch das reale Wohnzimmer ein bisschen, liegt hier ein passendes Buch zur aktuellen Ausstellung, hängt dort ein Bild aus einer früheren, entdeckt man ein witziges Detail: Derzeit trägt ein ausgestopftes Eichhörnchen eine menschliche Maske; ein Rabe einen kleinen Kermit-Frosch am Kopf. In einem goldenen Rahmen hängt ein Tablet; ein Stück weiter ein Man Ray-Foto aus ihrer Kunsthandlung: Denn Stock hat noch ein zweites Standbein, das eigentlich ihr erstes ist.

Ursprünglich hatte sie, die am 20. November 50 wird, Kunstgeschichte studiert. Spezialisiert auf buddhistische Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts, hatte sie sich im Geiste in der Forschung gesehen. Doch dann schlug ihr Vater vor, zwecks Absicherung ein Rahmengeschäft samt Kunsthandel am Alsergrund zu übernehmen. Inzwischen führt sie es seit 20 Jahren; erst später kam ihre Liebe zum Zeitgenössischen dazu. 2008 eröffnete sie ihre Galerie in der Schleifmühlgasse.

Hier lädt sie nun während jeder Ausstellung zweimal zum Kamingespräch. Und erreicht, wie sie mit Freude feststellt, mit ihrem analogen Salon auch ein ganz neues Publikum – und eine neue Tiefe: „Auf Vernissagen steht man mit Wein vor der Tür und führt Small Talk zum Netzwerken. Hier auf dem Sofa sind die Gespräche intensiver, intellektueller, das bestätigen auch die Künstler.“

Inzwischen melden sich Menschen selbst bei ihr und bieten an, hier Talks zu halten. Überhaupt will Stock nicht nur über Kunst reden, sondern auch Schnittstellen zwischen realer und virtueller Welt zum Thema machen. „Ich glaube, das muss schon diskutiert werden“, sagt sie. „Ich bin da ja selbst erst am Anfang. Aber es eröffnet sich eine ganz neue Welt.“

Auf einen Blick

Salon Real/Virtual nennt Michaela Stock ihr neues Galeriekonzept. In der Schleifmühlgasse 18 hat sie ihre auf osteuropäische Kunst und Performance spezialisierte Galerie in ein gemütliches Wohnzimmer verwandelt, das für Kamingespräche zur Verfügung steht. Im Nebenraum betritt man über einen Bildschirm ihre virtuelle Galerie. Auch über ihre Homepage kann man die aktuelle sowie frühere Ausstellungen besuchen. Derzeit läuft ihr dritter Salon mit Sandro Dukić.

Web: www.galerie-stock.net

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.11.2020)

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