Kein Altruismus: Wie sich Ameisenstaaten bilden

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Die Masse der Individuen verzichtet auf Nachwuchs und hilft dafür einer Königin, ihre Jungen aufzuziehen: Martin Nowak hält die althergebrachte Erklärung der Eusozialität jedoch für mangelhaft und überflüssig.

Die Masse der Individuen verzichtet auf Nachwuchs und hilft dafür einer Königin, ihre Jungen aufzuziehen. Diese Form des tierischen Zusammenlebens in einem Staat nennt man Eusozialität. Sie ist nicht häufig, aber erfolgreich: So schätzt man, dass die Gesamtmasse aller Ameisen die Gesamtmasse aller Wirbeltiere (mit Ausnahme der Menschen) übersteigt.

Wie kann es sein, dass so viele Individuen völlig darauf verzichten, ihre Gene weiterzugeben? Die Gene, die dieses selbstlose Verhalten bewirken, sollten doch bald mit ihren Trägern verschwinden! Schon Charles Darwin tat sich schwer mit der Erklärung der Eusozialität, Bei den Ameisen sei eben die gesamte Kolonie die Einheit der Selektion und nicht das Individuum, beschloss er im „Origin of Species“ – und verglich die Arbeiterinnen mit einem „wohlschmeckenden Gemüse“, das die Königin züchtet.

Alte Erklärung: „inklusive Fitness“

In den Fünfziger- und Sechzigerjahren des 20.Jahrhunderts fanden dann zwei Väter der theoretischen Biologie – J.B.S.Haldane und W.D.Hamilton – doch eine Erklärung, die auf den Individuen aufbaut: die Theorie der „inklusiven Fitness“, die Haldane auf einen griffigen Slogan brachte: „Ich würde in den Fluss springen, um zwei Brüder oder acht Cousins zu retten.“ Warum? Haldane hilft mit seinen Verwandten seinen eigenen Genen, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit (1/2 bzw. 1/8) auch in seinen Brüdern bzw. Cousins sind.

Bei Ameisen und Bienen kommt dazu eine genetische Besonderheit: Die Männchen haben nur einen einfachen Chromosomensatz. Das bewirkt, dass Schwestern miteinander näher verwandt sind als mit ihren Kindern. So fördert eine Ameise die Verbreitung ihrer Gene effizienter, wenn sie ihrer großen Schwester – der Königin – hilft, als wenn sie selbst Kinder bekommt. Ihr Altruismus ist genetisch begründet.

Diese Erklärung ist einleuchtend und populär. Sie hat einen trivialen Mangel: Andere staatenbildende Tiere – etwa Termiten und Nacktmulle – haben diese genetische Besonderheit gar nicht. Auch abgesehen davon lasse die Theorie der inklusiven Fitness Fragen offen, meint der gebürtige Wiener Martin Nowak: „Wenn Eusozialität so vorteilhaft ist, warum hat sie sich nicht bei allen Arten durchgesetzt?“

Arbeiterinnen als Roboter

In einer mit Corina Tarnita und Edward Wilson, dem großen alten Mann der Ameisenforschung, verfassten Arbeit (Nature, 466, S.1057) erklärt Nowak die Theorie der inklusiven Fitness für allzu beschränkt und überflüssig; man könne die Eusozialität durch die „ganz gewöhnliche“ natürliche Selektion besser erklären. Mit dem mathematischen Apparat der Populationsgenetik freilich, den Nowak – den eine beachtliche Karriere von Wien über Oxford und Princeton nach Harvard geführt hat – maßgeblich mitentwickelt hat.

„In den Gleichungen sieht man überhaupt nichts von Altruismus“, erklärt Nowak. Die Frage, warum die Arbeiterinnen auf Reproduktion verzichten, stelle sich gar nicht. Das Gen resp. das Allel (Version eines Gens), das den Verzicht bewirke, das „eusocial allele“, setze sich einfach unter bestimmten Bedingungen in der Population durch. „Die Arbeiterinnen sind keine unabhängigen Akteure; ihre Eigenschaften werden durch die Allele bestimmt, die in der Königin sind – sowohl in ihrem eigenen Genom als auch in den Spermien, die sie eingelagert hat. Man kann die Arbeiterinnen als ,Roboter‘ sehen, die die Königin baut. Sie sind Teil der Fortpflanzungsstrategie der Königin.“ Man habe noch kein eusoziales Gen identifiziert, aber man kenne Gene, die das Sozialverhalten von Ameisen beeinflussen. So hat sich bei der Roten Feuerameise in Nordamerika eine Version eines Gens durchgesetzt, die bewirkt, dass die Arbeiterinnen ihren eigenen und „fremde“ Staaten nicht mehr unterscheiden können und daher – in einem zweiten Schritt der Kollektivierung – „Superstaaten“ bilden.

Wie kann Nowaks Modell die Entstehung von Eusozialität erklären? Der erste Schritt sei wohl oft, dass Töchter darauf verzichten, das mütterliche Nest zu verlassen (etwa weil die Umwelt so karg ist, dass die Gründung eines neuen Nests schwierig ist). Die besondere Genetik bei Ameisen und Bienen sei nicht der Grund, sondern eine Folge der Eusozialität. Sie ermögliche der Königin zu steuern, ob sie in einer bestimmten Umweltsituation lieber Weibchen oder Männchen erzeugen will.

Insgesamt sei die Entstehung von Eusozialität schwierig und langwierig, liest Nowak aus seinen Gleichungen; aber wenn sie sich einmal durchgesetzt hat, sei sie beständig. Und ermögliche – siehe Ameisen – einen weltweiten Siegeszug.

Die ebenfalls sehr erfolgreichen Menschen, heißt es in der Publikation, könnten nur „loosely“ als eusozial bezeichnet werden. „Auch wir helfen anderen, sich zu reproduzieren“, meint Nowak, von einem „Superorganismus“ wie bei Ameisen oder Bienen könne man aber nicht sprechen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2010)

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