Jemen wird neues Aufmarschgebiet von al-Qaida

(c) EPA (YAHYA ARHAB)
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Die Vereinigten Staaten wollen den Krieg gegen den Terror auf die arabische Halbinsel tragen. Der Jemen ist jedoch weitgehend Terra incognita für den US-Geheimdienst CIA. Die Strategie der USA ist riskant.

Jemen, das ist jener Operationsraum, in dem US-Präsident Barack Obama die „Skalpell“-Taktik einsetzt: kleine, klandestine Spezialeinsätze gegen al-Qaida-Terrorgruppen. Sein Vorgänger George W. Bush hat noch auf die „Hammer“-Taktik aufwendiger Antiterrorkriege gesetzt.

Doch bald könnte es im Jemen zu einer Eskalation im Konflikt zwischen den USA und al-Qaida kommen. Wie die „Washington Post“ diese Woche berichtet hat, sehen Analysten des US-Geheimdienstes Central Intelligence Agency (CIA) große Gefahr von der „al-Qaida in the Arab Peninsula“ ausgehen. Offenbar, so der Schluss aus der „Washington Post“-Story, kommt al-Qaida in Pakistan und Afghanistan unter Druck, vor allem die Angriffe mit Predator-Drohnen hätten die Kommandostruktur von al-Qaida in diesen Ländern geschwächt, der Jemen ist hingegen weitgehend Terra incognita für den US-Geheimdienst.

Die CIA hat rund zehnmal mehr Agenten und Ressourcen in Pakistan verglichen mit dem Jemen. Offenbar denkt man in Washington nun darüber nach, auch im Jemen verstärkt Angriffe mit unbemannten Drohnen zu fliegen. Im November 2002 hat die CIA den Anführer von al-Qaida im Jemen, Abu Ali al-Harithi, mit einem Drohnenangriff getötet, als er mit seinem Allradfahrzeug östlich der jemenitischen Hauptstadt Sanaa durch die Wüste fuhr. Zuletzt wurden Cruise Missiles (Marschflugkörper) bei einem Angriff gegen eine Zusammenkunft von al-Qaida-Kämpfern eingesetzt.

Doch die Strategie der USA ist riskant: In der Provinz Abyan wurden bei einem Angriff mit Marschflugkörpern Dutzende Menschen getötet, die meisten davon Frauen und Kinder. Das „New York Times Magazine“ berichtete im Sommer über diese Attacke und wie diese die Mitglieder des örtlichen Stammes in die Arme von al-Qaida getrieben habe. Ali al-Shal, ein Oppositionsmitglied des jemenitischen Parlaments, erzählte dem „New York Times“-Journalisten: „Zuvor gab es dort nicht viel Sympathie für al-Qaida, aber der Luftangriff hat al-Qaida eine Menge Unterstützung gebracht.“ Die Regierung von Präsident Ali Abdallah Saleh steht nicht zuletzt wegen der Zahl der zivilen Opfer innenpolitisch unter Druck, weil sie den Kampf gegen al-Qaida den USA überlässt.

Osama bin Laden des Internets

Besondere Sorgen bereitet den Amerikanern ein Prediger namens Anwar al-Awlaki, der im Jemen Unterschlupf gefunden hat und von den Sicherheitskräften als Osama bin Laden des Internets bezeichnet wird: Al-Awlaki hat eine Facebook-Seite und verfasst einen Internet-Blog. Während die meisten Anführer von al-Qaida in the Arab Peninsula ihr Operationsgebiet auf der Arabischen Halbinsel sehen, erachtet al-Awlaki die USA als vorrangiges Ziel für Terrorangriffe.

Al-Awlaki soll den Amoklauf des US-Offiziers Nidal Hassan auf dem texanischen Heeresstützpunkt Fort Hood im November 2009 inspiriert haben. Im März 2010 rief er zum Heiligen Krieg gegen die USA auf, im Mai 2010 forderte er alle Muslime in den US-Streitkräften dazu auf, Kameraden zu töten, die auf dem Weg in den Irak oder nach Afghanistan seien.

Die Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“ prangert in einem Bericht die Menschenrechtslage im Jemen an. Die Regierung wird beschuldigt, „die Menschenrechte unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung außer Kraft zu setzen.“ Von ungerechtfertigten Festnahmen ist ebenso die Rede wie von ungesetzlichen Tötungen.

Experten fürchten, dass das Land weiter ins Chaos abrutscht: Die Ölvorkommen gehen zur Neige und das Land hat nicht mehr genug Wasservorräte, um 23 Millionen zumeist verarmte Menschen zu versorgen. Kämpfe stehen auf der Tagesordnung. Am Mittwoch mussten im Süden des Landes wieder tausende Menschen vor Gefechten fliehen, die die Armee und al-Qaida einander lieferten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2010)

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