Erfahrungsbericht

Wir sind traurig, wütend und zornig

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Symbolbild APA/dpa/Fabian Strauch
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Niemand kann sich vorstellen, wie es wirklich ist. Eine Pflegerin auf einer Wiener Covid-Station erzählt.*

Ich bin als diplomierte Pflegeperson mit Sonderausbildung im Bereich Intensivpflege auf einer Covid-19-Intensivstation in einem großen Wiener Krankenhaus tätig. Ich bin gern Krankenschwester. Es gehört zu meiner Tätigkeit einfach dazu, schwitzend stundenlang in einem Zimmer zu stehen, weil Intensivpatienten instabil werden. Auch Schutzausrüstung zu tragen. Doch es ist eine andere Belastung für Körper und Psyche, eine Covid-19-Schutzausrüstung zu tragen. Dabei über Stunden höchstkonzentriert zu bleiben, stellt das gesamte Team vor eine enorme Herausforderung.

Ich arbeite also mit einer Sonderausbildung auf der Intensivstation, obwohl ich deutlich geringer entlohnt werde als unerfahrene Mitarbeiter ohne diese Sonderausbildung. Es ist gut, dass unser Berufsstand finanziell aufgewertet wird, jedoch sollte das vor allem erfahrene, gut ausgebildete Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen betreffen.

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Was macht es mit einem, während einer Krise wie der aktuellen flexibler sein zu müssen denn je? Es heißt, Angst zu haben, wenn man nicht so flexibel ist wie erwartet, Kollegen und Kolleginnen im Stich zu lassen und somit mitverantwortlich zu sein, wenn Menschen sterben oder nicht menschenwürdig behandelt oder gepflegt werden. Angst zu haben, der Virusträger innerhalb der eigenen Familie zu werden. Angst zu haben, seine eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Angst zu haben, sich den eigenen Ängsten vor dem Virus stellen zu müssen.

Der Spruch „Bleibt für uns zu Hause – wir bleiben für euch hier“ ist sehr treffend, denn auch Pflegepersonen haben Angst, und trotzdem wird erwartet, dass sie mehr Leistung denn je bringen!

Was macht die Tatsache mit einem, immer zu grübeln, ob im nächsten Dienst ausreichend Schutzausrüstung, medizinisches Material und/oder kompetente, professionelle Pflegepersonen und Ärzte und Ärztinnen vorhanden sind? Die sehr kranken und meistens instabilen Covid-19-Aufnahmen werden immer mehr, man wird wieder personell und materiell, psychisch und physisch vor enorme Herausforderungen gestellt.

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Es fehlt die Anerkennung

Obwohl weder das für Herbst versprochene neue Besoldungsschema für vor 2018 eingetretene Mitarbeiter in Kraft getreten ist, noch irgendeine Anerkennung vom eigenen Haus gezeigt wurde, machen wir ohne Streiks weiter wie bisher. Gefühle wie Wut, Zorn und Traurigkeit machen sich seit Monaten breit. Wir fühlen uns gänzlich unverstanden und allein gelassen. Das Jahr 2020 hat die Selbstverständlichkeit, mit der unser Berufsstand wahrgenommen wird, deutlich gemacht.

Hinzu kommt, dass die intensivpflichtigen Erkrankten jünger werden und damit unsere psychische Belastung größer. Ich kenne keinen Mitarbeiter unseres Berufsstandes, der mit dem Tod leichtfertig umgeht, und je jünger die Patienten sind, desto schwieriger wird der Umgang mit den Mitmenschen, die diese Krankheit leugnen oder sich an keine Empfehlungen oder Maßnahmen halten.

Ich kenne leider keinen Weg, wie man diesen Menschen mitteilen kann, wie groß die Gefahr dieses Virus für jeden werden kann. Gott sei Dank gibt es Menschen, die einen leichten Verlauf haben, aber das trifft für viele andere nicht zu.

Ich höre immer wieder, wie beschwerlich diese Zeit für uns sein muss. Beschwerlich klingt dabei fast ironisch. Es kann sich niemand vorstellen, wie es wirklich ist. Wir schreiben uns hier das Leid und unsere Gefühle von der Seele, und doch kommt es in keinster Weise an die Wirklichkeit heran! Die Herausforderungen und die intensivpflichtigen Patienten und Patientinnen werden weiterhin kommen, die angemessene Entlohnung dafür nicht.

* Die Autorin will anonym bleiben, ihr Name und ihr Arbeitsplatz sind der Redaktion bekannt. Die erste Fassung des Texts entstand bereits Anfang Oktober und wurde nun aktualisiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2020)

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