Gastkommentar

Pflege im Lockdown: Der Tunnel ohne Licht

(c) Peter Kufner
  • Drucken

Die Pflege kämpft seit Monaten gegen Covid und seit Jahren um bessere Arbeitsbedingungen. Ein Krankenpfleger berichtet*.

Um 18 Uhr wird für euch geklatscht.“ März 2020. Der erste Lockdown. Die Eindrücke aus Italien sind im Kopf, Twitter und Co. machen quasi eine Live-Berichterstattung aus den völlig kollabierten Spitälern unseres südlichen Nachbarns möglich. Es ist ein Kampf gegen einen unsichtbaren Gegner. Gleichzeitig ist es aber auch eine Motivation. Eine Motivation, Vorbereitungen zu treffen, Wissen über diese Krankheit aufzubauen. Diese Motivation wird bald schwinden.

Angehörige wollen wissen, wie es auf der Intensivstation zugeht. Ruhig. Es wird alles hinuntergefahren. Zu ruhig. Ich schaue aus dem Fenster. Niemand klatscht. Österreich ist im Frühjahr gut weggekommen, zum Glück. Keine Apokalypse, keine Triage, kein Massensterben. Dann kommt der Sommer. Es ist ruhig, die Anspannung bleibt. Dass der Winter nicht so harmlos wird, weiß jeder, der nur ansatzweise Ahnung von der Materie hat. Eine starke Influenza-Saison kann eine Intensivstation (ICU) an ihr Limit bringen. Aber gegen Influenza haben wir Behandlungsoptionen, Covid-19 ist Influenza hoch zehn. Wir wundern uns über die Aufhebung der Maskenpflicht im Sommer. Die Zahlen beginnen ab Ende August wieder zu steigen, diesmal auch in Wien.

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Schon im Regelbetrieb gibt es zu wenig Personal. Intensivbetten sind dauerhaft gesperrt, auch ohne vermehrte Ausfälle wegen Covid und Quarantäne. 75.000 Pflegerinnen und Pfleger fehlen in Österreich bis zum Jahr 2030. Wir haben schlicht nicht das notwendige Personal für das, was auf uns zukommt.

Im September warnen erste Mediziner vor der zweiten Welle. Sie werden zurückgepfiffen. Die Zahlen steigen weiter. Eigentlich können wir schon so den Dienstplan nicht voll besetzen, zumindest nicht mit spezialisierten, qualifizierten Personen. Eine Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegeperson (DGKP) hat eine dreijährige Ausbildung hinter sich. Im Spezialbereich, etwa einer Intensivstation, benötigt es ein Zusatzdiplom. Auch wenn es lapidar „die Pflege“ heißt – auch hier gibt es Spezialisten in unterschiedlichen Bereichen: Ob in der Hauskrankenpflege, auf einer Onkologie, einer Augen-Ambulanz oder einer Herz-Thorax-ICU.

Jeder muss überall arbeiten

Erfahrung ist das A und O auf einer Station. Doch das interessiert niemanden. Jeder muss überall arbeiten können – flexibel nennt man das. Wir kämpfen seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen, für mehr Personal und mehr Gehalt. In den Wiener Gemeindespitälern wurde das Gehalt im Jahr 2018 zwar für neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutlich angehoben – aber ein mehr als zweijähriger Kampf der bisherigen Belegschaft war nötig, damit Alteingesessene in das neue Gehaltsschema wechseln dürfen. Die Gewerkschaft hat uns nicht geholfen. Ab 2021 dürfen wir nun wechseln – ein Wahlzuckerl wenn wir ehrlich sind, aber noch ist es nicht soweit.

Heute fallen uns solche Dinge auf den Kopf. Eine Diplomierte Krankenpflegeperson verbleibt durchschnittlich sechs Jahre im Beruf. Geringe Bezahlung angesichts der Verantwortung, Schichtdienste, Personalknappheit, extreme Arbeitssituationen, hoher Stresslevel sowie fehlende Wertschätzung innerhalb des Systems lassen viele gut ausgebildete Kolleginnen und Kollegen frustriert aussteigen. Niemand der geht, kommt wieder zurück.

Natürlich gibt es auch gute Momente im Berufsalltag. An denen baut man sich in schlechten Zeiten auf. Aber sie werden immer weniger. Die Pflege nimmt das stillschweigend zur Kenntnis und zieht eigene Lehren aus der Situation. Frei nach einem Zitat aus der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“: Sie geht nicht demonstrieren. Sie geht nicht auf die Straße. Sie geht aus dem Beruf.

Und plötzlich stehen wir vor dem zweiten Lockdown. Jede Woche steigen die Zahlen auf den ICUs und auf den Normalbettenstationen. Mit den heutigen Neuinzidenzen wissen wir, was auf uns in drei Wochen zukommt. Personal wird panisch von der Führungsebene hin und her verschifft. Pflegerinnen und Pfleger von einer chirurgischen Ambulanz müssen plötzlich auf einer Intensivstation arbeiten, ohne eine Ausbildung dafür zu haben. Personal von eilig geschlossenen Intensivstationen (welche schnell wieder öffnen mussten) wird ohne Rücksicht auf Alter und persönliches Risiko auf Covid-Stationen versetzt. Wenn man sich dagegen auflehnt, kann man gleich die Kündigung abgeben. Die Option, die bleibt – Versetzung, die jedoch einer „freiwilligen“ Meldung an einer Covid-Station gleichkommt.

Mehr zum Thema

Erfahrungsbericht einer Pflegerin:
>>> Wir sind traurig, wütend und zornig

Nur die Köpfe zählen

Personal wird von Non-Covid-Intensivstationen ausgeborgt, weil auf Covid-Stationen von Grund auf Personal fehlt. Ob das zur Virusverschleppung beiträgt? Vielleicht. Nur ohne Tests für das Personal schwer zu sagen. Doch das ist offenbar egal: Die Köpfe zählen, nicht der Mensch dahinter. Köpfe – eine offizielle Bezeichnung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Dienstplan. Eigentlich eine unfassbare Respektlosigkeit.

Jeden Tag gibt es neue Regeln, Dienstanweisungen. Niemand kennt sich aus, da die interne Kommunikation mehr als mangelhaft ist. Dass dann Dinge passieren, die nicht passieren sollten – wen wundert es. Wenn man nach einem Covid-Zwischenfall im Krankenhaus Kontaktperson 1 ist, hat man die Option in Heimquarantäne zu gehen (und damit das Team „im Stich“ zu lassen) oder dank der Ausnahmeregelung mit regelmäßigen Abstrichen weiter zu arbeiten. Geht man weiter arbeiten und unterzieht sich der Prozedur mit den Abstrichen, heißt es den Ergebnissen hinterherzulaufen – denn diese müssen vor Dienstantritt vorhanden sein, theoretisch. Praktisch ist das unmöglich. Denn Personal wird nicht vorgereiht.

Das Gefühl des Chaos ist jetzt stärker da als bisher. Sorge der Führungsebene um die Gesundheit – Fehlanzeige. Die anwesenden Köpfe zählen.

Das Virus hat uns voll im Griff. Wir sehen jeden Tag, was mit den Menschen passiert, die es erwischt. Junge Menschen oder Kollegen, die an eine Lungenmaschine müssen, weil sie sonst sterben würden. Auch in Österreich, nicht nur in Italien oder den USA. Menschen, die es elendig dahinrafft. Acht Wochen Intensivaufenthalt und keine Besserung in Sicht – wie soll das ob der Menge bewältigt werden?

Auch „Genesene“ auf der ICU

In den Medien hört man nur von den Covid-Betten. Nach rund 14 Tagen werden Patienten und Patientinnen zu Non-Covid-Fällen und liegen meist ebenfalls noch Wochen auf der Intensivstation. Der Regelbetrieb kommt dazu. Herzinfarkt und Co. will auch behandelt werden. Wie? Wo? Wer?

Überall Menschen mit Masken und Mantel. Wir haben den Beruf bewusst gewählt. Wir wissen ob der Gefahr einer Infektion. Aber wir wollen verdammt noch einmal Arbeitsbedingungen, die dem auch gerecht werden. Schutzkleidung in ausreichender Menge und Qualität. Informationsweitergabe und Transparenz, die dem Namen gerecht werden. Respekt vor unserer Qualifikation von den Führungsebenen, wenn es von außen schon nur alibihalber daherkommt. Und eine Bezahlung, die der Verantwortung und der Gefahr gerecht wird. Jetzt und in Zukunft.

November 2020. Der zweite Lockdown. Ich schaue aus dem Fenster, es ist 18 Uhr. Niemand klatscht. Denn das Licht am Ende des Tunnels gibt es derzeit nicht – wir irren in der Finsternis dem ungewissen Ausgang entgegen.

* Der Autor ist Pfleger in Wien und wollte anonym bleiben, sein Name und sein Arbeitsplatz sind der Redaktion bekannt.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Symbolbild
Erfahrungsbericht

Wir sind traurig, wütend und zornig

Niemand kann sich vorstellen, wie es wirklich ist. Eine Pflegerin auf einer Wiener Covid-Station erzählt.*

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.