Drogenszene: Karlsplatz „neu“ – mit alten Problemen

Karlsplatz Drogenszene
Karlsplatz Drogenszene(c) (Michaela Bruckberger)
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Zur Betreuung pilgern Suchtkranke nun nach Mariahilf und Wieden, gehandelt wird am Karlsplatz aber weiterhin. Eine Ausweitung der Schutzzone könnte die Szene weiter in Wohngebiete verdrängen.

Wer sich dem rundem Zentrum der U-Bahn-Station Karlsplatz von der Secession nähert, vermisst auf den ersten Blick, was das Passieren der Gänge jahrzehntelang so unverwechselbar unangenehm machte: Jene Grüppchen von tratschenden und handelnden Suchtkranken, die den Passantenstrom nicht nur flankierten, sondern zu Spitzenzeiten auch behinderten. Doch der erste Eindruck der neuen Ruhe weilt kurz: Vor dem Blumengeschäft und beim U1-Abgang sieht man nach wie vor Personen, deren bleiches, schweißglänzendes Gesicht nahe legt, worauf sie hier warten – wenn auch deutlich weniger als noch im Frühsommer.

Bei der ehemaligen Spritzentauschstelle versucht ein Mann vergeblich, die Tür zu öffnen, bevor er im Rausch wieder einnickt – dass die Betreuungsstellen zum Mariahilfer Ganslwirt und dem neuen Tageszentrum „TaBeNo“ am Wiedner Gürtel verlegt wurden, ist zu ihm scheinbar nicht durchgedrungen.

„25 Prozent Szenerückgang“

„Es hat sich nichts verändert, die gehen nur weg, wenn Polizei da ist, ansonsten sind sie oben“, sagt eine Geschäftsfrau unten. Oben, das ist der Eingangsbereich der Spar-Gourmet-Filiale am Kärntner Ring. Tatsächlich ist der Gehsteig davor zu einer Art Miniatur-Karlsplatz mutiert.

Die Geschäftsleitung will nun mehr Polizeipräsenz oder einen lokalen Sicherheitsdienst. „Die Szene unten wird zerschlagen, dafür stehen die Süchtigen nun hier und die Kunden klagen“, sagt Filialleiter-Stellvertreter Thomas Schuster.

Das passt gar nicht zum Erfolgsbild, das Polizei und Wiener Drogenkoordination von der „Aktion scharf“ am Karlsplatz zeichnen: Anfang Juni wurde die achtköpfige Wachzimmerbesatzung durch 20 Uniformierte verstärkt und das Betreuungsangebot im Mariahilfer Ganslwirt erweitert. Er öffnet nun schon ab neun Uhr statt wie früher um 14 Uhr, zwanzig zusätzliche Betreuer wurden engagiert. „Natürlich kommen Einzelne auch zum Karlsplatz zurück, das fällt halt jetzt mehr auf“ sagt Wolfgang Preiszler, der die Aktion am Karlsplatz leitet, „aber 25 Prozent Szenerückgang in zwei Monaten ist ein Erfolg“. Dass sich am U4-Bahnsteig nach wie vor Süchtige beobachten lassen, die auf Dealer in den Zügen warten und dann (nicht unbedingt unauffällig) zusteigen und handeln, gehört für Preiszler in ein anderes Problemfeld: „Unsere Aktion hat sich auf die Tablettenszene konzentriert, der Handel mit Heroin und Kokain in U4 und U6 ist was anderes – wir haben in Wien locker 3000 Dealer, da können selbst viele Beamte nie genügen“.

Befürchtungen, dass durch die Verlagerung des Spritzentauschs Hepatitis- und HIV-Infektionen ansteigen könnten, bewahrheiteten sich nicht. „Die Zahl der insgesamt getauschten Spritzen ist schon fast so hoch, wie vorher am Karlsplatz – das liegt an unserer Bekanntheit, Änderungen sprechen sich herum“ sagt Hans Haltmayer, ärztlicher Leiter der Betreuungseinrichtungen. Dennoch sei bei Süchtigen ein „Restrisiko“ vorhanden, dass sie neue Einrichtungen nicht so annehmen wie die alten, aber: „Derzeit klappt es“.

Ausweitung der Schutzzone?

Ob die Verantwortlichen die Lage auf dem Karlsplatz tatsächlich unter Kontrolle haben, daran regen sich auch aus anderem Grund Zweifel: Die zuständige Verwaltungsbehörde des vierten Bezirks (Wieden) plädiert für eine Ausweitung der 2005 installierten Schutzzone: „Ich habe vergangene Woche eine Bitte bei der Wiener Polizei deponiert“, sagt Bezirksvorsteherin Susanne Reichard (VP), die am 10. Oktober bei den Bezirksvertretungswahlen ihr Amt gegen SPÖ und Grüne behaupten will. Die Entscheidung über das Ansuchen  soll vor Schulbeginn fallen.

Während des Schuljahres erlaubt die Schutzzone der Polizei, Süchtige für 24 Stunden des Platzes zu verweisen. Kehrt die Person innerhalb dieses Zeitraums zurück, drohen Haft oder Geldstrafe. Reichard will mit Hilfe der Ausdehnung der Schutzzone weitere Bereiche „drogenfrei“ machen. Bevor die evangelische Schule am Karlsplatz wieder öffnet, solle man den Sperrbereich ausweiten, „damit nirgendwo Winkel entstehen, in die sich die Szene verlagert.“ Konkret denkt die Bezirksvorsteherin an eine Ausdehnung bis zur Lothringerstraße im Norden und bis zum Brunnen vor der Karlskirche.

Dass die Szene so weiter in Richtung Wohngebiete verdrängt wird, bleibt ein Problem. Denn wenn sich etwa mehr Süchtige im Tageszentrum im Mariahilfer Ganslwirt aufhalten, ist mehr Drogenkonsum in den umliegenden Wohngebieten fast unausweichlich. Ein naher Spielplatz und eine öffentliche Toilette gelten schon jetzt als einschlägig bekannt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26. August 2010)

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