Doris Rittberger und Jine Knapp in der Nähe der Wotruba-Kirche im 23. Bezirk.
Spazierengehen

Wie man sich Raum (zurück-)erobert: Zu Fuß auf neuen Wegen

Derzeit ist spazieren gehen wieder eine der wenigen Bewegungsmöglichkeiten im Freien. Das merkt man bereits in den Straßen. Über den Drang, auch im Winter nicht still zu stehen, neue Wege kennenzulernen und so ein Stück Freiheit zurückzugewinnen.

Dieser Winter läuft anders als sonst. Auch auf den Straßen. Normalerweise packen die Österreicher um die Jahreszeit ihre bequemen Gehschuhe ein. Klar, Spaziergänge sind bei schönem Wetter im dunklen Winter ein Muss, aber regelmäßiges Gehen in der Kälte, vielleicht auch noch bei Regen und im Dunkeln, das interessiert die wenigstens. Aber die Sportstätten haben nun einmal zu, Alternativen im Freien sind bis auf Laufen und Radfahren in dieser Zeit rar. Also rückt auch jetzt wieder die ursprünglichste aller Bewegungsformen in den Fokus: das Gehen.

Viel frequentierte Stadtwege. Zumindest auf den Wiener Stadtwanderwegen, berichten Spaziergänger, ist schon wieder viel mehr los. Das merken auch Doris Rittberger und Jine Knapp. Die beiden Frauen versuchen schon seit Anfang der 2010er-Jahre, Spazierengehen in Wien wieder interessanter zu machen. Damals haben sie ihr erstes Buch „Wien geht“ mit Spaziervorschlägen in Wien herausgebracht und die Plattform Wildurb gegründet. Unzählige weitere Bücher („Wien geht weit“, „Abenteuer Gassi“, „Mission Wien“) folgten. Derzeit würden sich ihre Bücher „wie warme Semmeln“ verkaufen, sagt Rittberger. Auch aus diesem Grund gibt es eine komplette Neuauflage von „Wien geht“. Der Buchhändler Morawa merkt ebenfalls einen Anstieg beim Onlineverkauf von Wander- und Spazierbüchern. Das Gehen hat heuer seinen großen Auftritt.

Knapp und Rittberger, die beiden Spazierexpertinnen, wundert das nicht. Schon gar nicht in Coronazeiten. „Beim Gehen tu ich etwas für die Seele. Wir sind coronabedingt einer Unfreiheit ausgesetzt. Wenn ich zu Fuß gehe, dann habe ich aber die pure Freiheit. Ich kann entscheiden, wann ich gehe und wohin ich gehe. Ich kann in dieser auferlegten Ohnmacht aktiv werden“, sagt Rittberger. Außerdem: „Wenn es um Einsamkeit und Isolation geht, dann eröffnet das Gehen neue Spielräume.“ Das ist besonders Jine Knapp wichtig, für die das Gehen „eine Horizonterweiterung“ ist. „Man bleibt einfach nicht stehen. Weder geistig noch mit den Füßen.“ Knapp hat damals nach burn-out-bedingten Panikattacken zu spazieren begonnen, als sie kaum das Haus verlassen konnte. Mit jedem Spaziergang habe sie ihren Bewegungsradius erweitert – und nie wieder damit aufgehört. Mittlerweile ist sie quasi Profi-Spaziergängerin, entwickelt neue Wege in und um Wien und ist auch außerhalb der Stadt viel unterwegs.

Zwei Arten zu gehen. Für sie gibt es zwei Arten von Spaziergängern, jene, die beim Gehen mehr ihren eigenen Gedanken nachhängen und so in eine Art meditatives Gehen fallen, und jene, die durch das Spazieren die Welt erkunden, sich die Umgebung anschauen – und sich dabei inspirieren lassen: von den Menschen, die man in der Ferne sieht, der schönen Natur, von alten, verwilderten Industriearealen. So eine sei sie. Knapp saugt alles auf, was sich in ihrer Umgebung tut, findet in allem seinen Charme. Dabei geht sie kaum einen Weg zweimal, versucht ständig, neue Ecken zu finden. Mittlerweile nutze sie Google Maps, um neue Wege zu erschließen. Zuerst schaut sie online, wo sie hinwill. Dann sieht sie sich spazierend um. Ihr Navi braucht sie selten. Knapp hat einen ausgeprägten Orientierungssinn. Im Gegensatz zu Rittberger, die sich schon in den Praterauen verlaufen hat.

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