Interview

„Wir sind mit einem hellen blauen Auge davongekommen“

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Kärntens Landeshauptmann, Peter Kaiser, hält es für angebracht, neue Schulden zu machen, verteidigt die Privatisierung des Flughafens und schlägt vor, eislaufen zu gehen.

Wie stark hat die Pandemie den Kärntner Sommertourismus getroffen?

Peter Kaiser: Wir sind mit einem hellen blauen Auge durch die Sommersaison gekommen. Im September gab es ein unglaubliches Plus von 14 Prozent, weil wir die Ausfälle der ausländischen Nächtigungen durch eine Steigerung von 45 Prozent durch Einheimische mehr als kompensiert haben. Ich nehme an, dass es insgesamt dennoch Einbußen geben wird. In einer Situation, aus der man normalerweise mit zwei zugeschwollenen dunkelblauen Augen herauskommt, ist es nur helles blaues Auge geworden.

Was erwarten Sie für den Winter?

Allem voran müssen wir die Fallzahlen so niedrig halten, dass sie keine Reisewarnungen auslösen. Parallel dazu müssen wir bestehende Alternativen im Winter ausbauen und neue schaffen. Bei Wintertourismus denkt jeder nur an das Skifahren. Wir müssen diesen Begriff erweitern. Zum Beispiel ist der Weißensee ein Dorado zum Eislaufen. Man könnte Eislaufschuhe zu Weihnachten verschenken. Man kann Schneeschuh wandern, Touren gehen – Tourenskier sind derzeit fast ausverkauft. Die Wahrnehmung des Wintertourismus ändert sich, es bedeutet auch Landschaft, wandern, eislaufen und vieles mehr.

Auch die Industrie hat es schwer getroffen. Kürzlich hat der Autozulieferer Mahle verkündet, 130 Stellen in Kärnten abzubauen. Kann man das als Regionalpolitiker überhaupt abfangen?

Während des Lockdowns haben wir in der Industrie wenig gespürt, die Auftragsbücher waren voll, die Kapazitäten ausgelastet. Aber entscheidend werden nun das vierte Quartal und Anfang 2021. Wir haben es in Kärnten zwar geschafft, uns von der traditionellen Industrie wie Bergbau und Grundstoffe in Richtung Digitalisierung, Elektronik und Sensorik zu entwickeln. Das beste Beispiel ist Infineon, da haben wir viel in Internationalität investiert. Aber in der Zulieferindustrie haben wir wegen Corona die gleichen Schwierigkeiten wie andere. Bei den Größenordnungen können wir als Land nur bedingt helfen. Wir haben aber die notwendigen Bildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten geschaffen: die Verbindung von Studium und Lehre oder verschiedenen Schultypen von Chemie, über HTL bis hin zur Handelsakademie.

Der deutsche Halbleiterhersteller Infineon wurde engagiert umworben, ist das Aushängeschild der Kärntner Standortpolitik. Gebührt eine solche Aufmerksamkeit nicht den kleinen und mittleren Unternehmen, die den überwiegenden Teil der regionalen Wertschöpfung erbringen?

Ja, die Perspektive ist keine enge und infineonisierte, sondern eine breite. Wir fördern die Wertschöpfungs- und Versorgungsketten hinter diesem Standortmagneten. Dafür haben wir eine eigene Betriebsansiedlungs- und Beteiligungsgesellschaft, die strategische Landesentwicklung zielt mit dem Standortmarketing genau in diese Richtung. Kürzlich haben wir beschlossen, in die Märkte Süddeutschland, Slowenien, Kroatien und Oberitalien zu gehen und dort unsere Standortstärken zu bewerben.

Heuer wird das Budgetminus 300 Millionen Euro betragen, kommendes Jahr 400 Millionen. Damit steigt die Gesamtverschuldung Kärntens auf vier Mrd., bis 2025 auf fünf Milliarden Euro. Bei unserem letzten Gespräch haben Sie kritisiert, dass Kärnten nach 2002 sehr große Defizite gemacht hat, die bis heute negativ nachwirken – nun machen Sie das Gleiche.

Der Unterschied ist: Unsere Vorgänger haben uns die Heta-Hypo-Krise mit all ihren nicht kalkulierbaren Folgeerscheinungen und ein riesiges Defizit hinterlassen, ohne damit nachhaltige Werte zu schaffen. 2016 standen wir noch kurz vor der Insolvenz, danach haben wir pro Jahr bis zu einer Milliarde Euro mehr Brutto-Regionalwertschöpfung erreicht. Gleichzeitig haben wir im Budgetvollzug jedes Jahresbudget unterboten, sprich sparsam umgesetzt. Das hat dazu geführt, dass wir die Verschuldung von knapp vier Milliarden bis Ende 2019 auf 3,4 Milliarden Euro gesenkt haben. Das Entscheidende für mich ist aber: Der Anteil der Schulden gemessen an der Leistungsfähigkeit des Landes hatte Ende 2019 einen Anteil von 15 Prozent. Der Bund hat derzeit 80 Prozent.

Verstehen Sie, dass man wegen der jüngsten Vergangenheit rund um die Hypo/Heta skeptisch nach Kärnten blickt? Wäre da nicht ein vorsichtiger Umgang mit den Finanzen und der Verschuldung geboten? Letztlich gab es ja auch einen Schuldenschnitt.

Wenn man die Geschichte kennt, weiß man, dass die Ausgaben damals für persönliche Wahlsiege, Darstellungspolitik und Brot und Spiele verwendet wurden. Man hat Hunderter verteilt, ohne einen Nutzen auszulösen. Wir dagegen setzen das Geld für Gesundheit, Soziales und Pflege ein. Da sind keine Selbstinszenierungen, Prestigeprojekte oder Leuchttürme darunter, sondern vernünftige Mehrwerte und die Steigerung des Vermögens. Also kurze Antwort: Nein, verstehe ich nicht.

Und gegenüber jenen Investoren, die dem Land einen Schuldenschnitt gewährt haben, haben Sie kein schlechtes Gewissen?

Nein, ich wüsste jetzt nicht welchen gegenüber. Wir haben allen die Wandelanleihen mit Stützung des Bundes angeboten, und der Schuldenschnitt war nicht von exorbitantem Ausmaß, sondern lag bei knapp unter 90 Prozent. Und die Wertsteigerung hat manche in die Nähe der 100 Prozent gebracht. Also nein, kein schlechtes Gewissen. Und die Out-Opts, die wenigen, die es gegeben hat – sorry, das ist unternehmerische Verantwortung anderer, nicht unsere.

Würden Sie die Privatisierung des Klagenfurter Flughafens an den Investor Franz Peter Orasch als erfolgreich bezeichnen?

Sie war nach der politischen Entscheidung alternativlos, sonst hätten das Land, die Stadt oder wer auch immer investieren müssen – und jeder, der sich in der europäischen Förderkulisse auskennt, weiß, dass das mit der Schließung des Flughafens einhergegangen wäre. Das wollte niemand. Die Entscheidung zu privatisieren ist zu einem Zeitpunkt gefallen, als noch niemand Covid buchstabieren konnte. Der Investor ist von der Situation genauso getroffen wie alle anderen. Wir müssen jetzt alles tun, damit er seine Investitionen tätigen kann.

Was sind die nächsten Schritte?

Er plant eine eigene Fluglinie, den Ausbau des Flughafens und auch des Non-Aviation-Bereichs. Es ist notwendig für uns, vertraglich zu sichern, dass die betriebsnotwendigen Grundstücke ein klarer Vorbehalt für uns bleiben. Dass die nicht betriebsnotwendigen Grundstücke für Kreditlinien und Investitionen verwendet werden dürfen. Die Widmungen hängen sowieso immer von der öffentlichen Hand ab, da sind wir safe. Das Land kann sich aber nicht leisten, die Kapitalerhöhungen mitzumachen. Und eine Verwässerung bei Anteilen von 25 Prozent plus einer Aktie ist gleichbedeutend mit einem Nullum. Also muss das, was im Interesse der öffentlichen Hand war, ist und bleiben muss, vertraglich zu regeln. Das heißt, dass die Kapitalerhöhung ausschließlich vom Investor gemacht wird und wir die aktuelle Sperrminorität behalten – so wie es damals in der Ausschreibung vorgesehen war.

Hätte man besser verhandelt, würde man das Problem nicht haben.

Es wird in den Medien so dargestellt, als ob es hier einen Streit zwischen uns und dem Investor gäbe. Aber wir sind als Partner in das Projekt gegangen. Auch der Rechnungshof gerät hier in einem nicht nachvollziehbaren Ausmaß in Kleinigkeit, ohne die wirkliche Tragweite der Sache zu erkennen. Der Vertrag wird jetzt eh erörtert und ist aus meiner Sicht so gestaltet, dass der Investor derzeit eingeschränkt ist, und nicht das Land oder die Stadt. Aus meiner Sicht ist also sehr gut verhandelt worden. Aber jetzt geht es darum, dass wir die Investitionen auf Linie bringen. Der Investor ist ein Kärntner, er hat ein Interesse an den Investitionen, er macht das nicht aus Jux und Tollerei oder um durch Spekulationsgewinne zu profitieren, wie das oft medial nahegelegt wird.

Nach dem diesjährigen GTI-Treffen haben Sie von der Regierung mehr Durchgriffsrechte gegen die Teilnehmer gefordert. Sie sagten, dass „Kärntens Gastfreundschaft, aber auch der Rechtsstaat mit Füßen getreten“ wurden. Was ist da passiert? Und kann man sich leisten, auf die Wertschöpfung dieses Treffens zu verzichten?

Die haben sich jetzt selbst ins Abseits gestellt, die illegalen GTI-Treffen haben das Fass zum Überlaufen gebracht. Eine breite Mehrheit, auch in den Beherbungsbetrieben, meint, dass wir uns damit mehr ruinieren, als dass wir an kurzfristiger Auslastung einer Nebensaison bekommen. Wir brauchen Gesetze, um das besser regeln zu können. Bei den offiziellen, legalen Treffen haben wir zumindest im Veranstaltungsgesetz rechtliche Möglichkeiten. Bei den illegalen Zusammenkünften nicht. Nachdem wir die Autos bei uns nicht festhalten können, müssen wir andere Möglichkeiten seitens des Bundes bekommen, um hier eingreifen zu können.

Zur Person:

Peter Kaiser ist 1958 in Klagenfurt am Wörthersee geboren. Er hat 1988 den Magister in Philosophie abgeschlossen, 1993 promovierte er zum Doktor der Philosophie.

Seine politische Karriere begann Kaiser bei der Sozialistischen Jugend. 1989 wurde er Abgeordneter zum Kärntner Landtag, 2005 Klubobmann der Kärntner SPÖ und 2008 Mitglied der Landesregierung. Seit 2010 ist Kaiser Vorsitzender der SPÖ Kärnten und Stv. SPÖ-Bundesvorsitzender.

Seit 2013 ist er Kärntens Landeshauptmann. Die Landtagswahl 2018 gewann Kaiser mit 48 Prozent, er ging eine Koalition mit der drittplatzierten ÖVP ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2020)

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