Corona-Impfung

Der globale Wettlauf um den Sieg gegen Covid

US-FREE-FLU-SHOTS-ARE-ADMINISTERED-AT-COMERICA-PARK-IN-DETROIT
US-FREE-FLU-SHOTS-ARE-ADMINISTERED-AT-COMERICA-PARK-IN-DETROITAPA/AFP/GETTY IMAGES/Matthew Hat
  • Drucken

Forscher auf der ganzen Welt arbeiten seit Monaten an einer Impfung gegen das Coronavirus. Wo stehen wir? Und vor allem: Wie geht es ab hier weiter?

Es gibt sie, diese großen Momente im Leben, in denen man einander immer wieder fragen wird: „Wo warst du damals? Was hast du gemacht? Was hast du gedacht?“ – „Wann hast du das erste Mal vom Coronavirus gehört?“

Dezember 2019. Es fühlt sich an, als wäre es schon sehr lang her, aber vor nicht einmal einem Jahr grübelte man in der chinesischen Millionenstadt Wuhan über eine Häufung von Lungenentzündungen. Im Jänner 2020 meldeten europäische Staaten erste Fälle, im Februar bekam die Krankheit einen Namen, Covid-19, und ihr Auslöser ein Gesicht: das Severe acute respiratory syndrome coronavirus 2, Sars-CoV-2. Im März erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Krankheitsausbruch zur Pandemie. Und seitdem ist alles anders.

Wenn man Florian Krammer fragt, wann er vom Coronavirus erfahren hat, dann nennt er zwei Daten: den 31. Dezember 2019 und den 10. Jänner 2020. Am Silvestertag war der Lungenentzündungsausbruch in Wuhan von den Chinesen gemeldet worden, „man hat nicht gewusst, was das ist“. Und am 10. Jänner 2020 sei es dann klar gewesen: „Dass das sehr Sars-ähnlich ist. Und das war natürlich alarmierend, weil Sars 2003 eben fast zu einer Pandemie geführt hat.“ Damals, sagt Krammer, sei sein Albtraum gewesen, „dass sich das ausbreitet. Und es hat sich ausgebreitet“.

Proband bei Pfizer. Krammer ist Steirer, der in New York City lebt, und Virologe, der an der Icahn School of Medicine am Mount-Sinai-Spital arbeitet. Und einer, der dazu beiträgt, dass bald alles normal sein könnte. Einerseits, weil er mit seinem Labor unter anderem zur Immunantwort des Körpers auf das Coronavirus forscht. Andererseits, weil Krammer sich als Proband für eine Impfstoffstudie gemeldet hat. Zweimal wurde er für den Test des Pfizer-Biontech-Impfstoffs geimpft. Ob mit dem richtigen Impfstoff oder mit einer Kochsalzlösung, das weiß er nicht.

Er hofft auf Ersteres. Denn ein Jahr nach dem Ausbruch von Sars-CoV-2 in Wuhan melden die ersten Pharmaunternehmen große Erfolge bei ihren Impfstoffen. Pfizer-Biontech verlautbarte am Donnerstag, dass ihr Vakzin eine Wirksamkeit von 95 Prozent habe. Am Freitag reichte man die Unterlagen für eine Notzulassung – die es, im Übrigen, in Europa nicht gibt – bei der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) ein. Krammer glaubt, dass es in Österreich möglicherweise im Frühling Impfstoffe für die breite Bevölkerungsmasse geben wird. „Ich weiß, dass es da alle möglichen Einschätzungen gibt – alles von Frühjahr bis Sommer –, aber ich glaube, dass das dann schon relativ früh passieren wird.“

Neun Monate, nachdem die Pandemie ganz offiziell ausbrach, nach zwei Wellen und zwei Lockdowns, ist da tatsächlich das berühmte Licht am Ende des Tunnels. Wie kommt man dorthin? Was wird überhaupt geimpft? Und wieso ging das alles so schnell?Minimaler Eingriff. 13 Impfstoffkandidaten gibt es aktuell in der Phase 3 des Testverfahrens für Vakzine. Dieses ist standardisiert: Nach präklinischen Studien an Tieren wird in Phase 1 an wenigen Personen die Sicherheit und Dosierung eines Impfstoffkandidaten geprüft, in Phase 2 dann die medizinische Wirksamkeit. In Phase 3 überprüfen die Entwickler diese Wirksamkeit dann an Tausenden Probanden.

Wirkung

Normalerweise dauern diese Tests Jahre. Pfizer-Biontech startete beispielsweise aber erst im Mai in Phase 1. Das Tempo, in dem an den Impfstoffkandidaten gearbeitet wird, ist atemberaubend – und sorgt für große Skepsis. Experten wie Clemens-Martin Auer, Sonderbeauftragter für Gesundheit im Sozialministerium und Co-Vorsitzender der Steuerungsgruppe für die Impfstoffbeschaffung der Europäischen Union, führen die Geschwindigkeit auf viele parallele Abläufe zurück.Impfung gegen Erkrankung. Die Coronavirus-Impfungen wirken gegen die Covid-Erkrankung. Ob sie auch Infektionen verhindern können, wird man erst in weiterer Analyse feststellen können.

Kälte. Die RNA-Impfstoffe müssen bei unter -70 Grad Celsius gelagert und transportiert werden. Dafür gibt es Lösungen; in Österreich gibt es acht Kühllager, die verwendet werden können.

Und: Einige der aussichtsreichsten Kandidaten haben sogenannte mRNA-, Messenger-RNA-Impfstoffe entwickelt, die aufgrund ihrer Struktur einen schnelleren Herstellungsprozess ermöglichen. Das amerikanisch-deutsche Gespann Pfizer-Biontech ebenso wie der US-Konzern Moderna, der diese Woche ebenfalls eine Wirksamkeit von 94,5 Prozent für seinen Impfstoff vermelden konnte.

Die RNA-Impfstoffe sind eine relativ neue Art von Vakzinen, an denen seit einiger Zeit geforscht wird, etwa für Impfungen gegen Influenza und gegen Tollwut; freigegeben wurde ein RNA-Impfstoff bislang noch nicht. Sie basieren auf dem Mechanismus der Ribonukleinsäure (RNA). Eine synthetisierte Version von Coronavirus-RNA bringt die Zellen eines Menschen dazu, viele Kopien dieses Fragments des Virus herzustellen – was wiederum das Immunsystem dazu bringt, eine Antwort zu produzieren. Wird RNA-Impfstoff geimpft, dringt er zudem nicht in den Zellkern vor. „Beim RNA-Impfstoff nimmt man einen kleinen Aspekt, den das Virus mit sich bringt: ein kleines Stück Information, das für dieses Oberflächenprotein kodiert, und die RNA dafür. Das wird in ein Fettpartikel verpackt und in den Muskel geimpft. Man produziert nur das Oberflächenprotein“, erklärt Krammer. „Das heißt: Das ist ein minimaler Eingriff.“ Vor allem im Vergleich dazu, wenn man eine Coronavirus-Infektion ausbadet: „Das Virus fängt im Prinzip an, die Kontrolle in jeder Zelle zu übernehmen, sie umzubauen, damit mehr Virus hergestellt werden kann.“

China und Indien. Neben den RNA-Impfstoffen werden auch andere Kandidaten getestet. Eine Art verwendet einzelne virale Proteine; eine andere Art ist die des viralen Vektors, basierend auf einem ungefährlichen Virus, das sich nicht mehr replizieren kann und mit der Information des Sars-CoV-2-Oberflächenproteins ausgestattet wird, sodass eine Immunantwort produziert wird.

„Und dann gibt es die Kandidaten, die wahrscheinlich nicht in Europa auf den Markt kommen werden, die in China oder in Indien hergestellt werden“, sagt Virologe Krammer. Hier würden teilweise inaktivierte Impfstoffe produziert, „das ist eine sehr klassische Art, wie man Impfstoffe herstellt: Da züchtet man einfach das Virus und tötet es dann chemisch ab.“ Aufgrund unterschiedlicher Ansprüche der Zulassungsbehörden glaubt Krammer nicht daran, dass „ein chinesischer Impfstoff beispielsweise in Europa auf den Markt kommt. Das heißt jetzt aber nicht, dass diese Impfstoffe schlechter sind. Die Wahrheit ist: Chinesische und indische Impfstoffhersteller werden wohl die sein, die den globalen Markt bedienen werden.“ Indien stelle bereits jetzt den Großteil der Impfstoffe her, die weltweit verwendet werden.

Logistik. So gut wie alle Experten gehen davon aus, dass in den USA noch dieses Jahr erste Impfstoffdosen ausgeliefert werden können, in der EU, die sich auf ein unionsweites Verteilungsmodell nach dem Bevölkerungsanteilschlüssel verständigt hat, könnte es ebenfalls Anfang des neuen Jahres so weit sein.

Während der Weg in den USA über die FDA läuft, gibt es in Europa die Zulassung durch die European Medicines Agency (EMA). Die Vorgänge bis zur Freigabe durch die beiden Behörden sind unterschiedlich: In den USA reicht man die Testunterlagen ein, bei der EMA gibt es „Rolling Reviews“, also ständige Prüfungen von Testergebnissen. Wenn es von der EMA demnächst eine Zulassung für eine Corona-Impfung geben wird, wird es sich dabei wohl um „eine vorläufige, aber eine ordentliche“ Zulassung handeln, sagt Public-Health-Experte Auer, „also keine Notzulassung, die dann unter Umständen einige Verfahrensschritte ausgelassen hat“. Die RNA-Impfstoffe werden wohl in zwei Dosen geimpft werden; bei den anderen Kandidaten ist das teilweise noch offen.

Krammer meint, dass es möglich sei, „dass wir im Frühling einen Punkt haben werden, an dem es mehr Leute gibt – vor allem in den Hochrisikogruppen –, die geimpft sind, und es – vielleicht auch aufgrund steigender Temperaturen – weniger Viruszirkulation gibt. Das kann die Situation dann ziemlich normalisieren. Wenn dann genügend Impfstoff verfügbar ist, muss man den Sommer nutzen, damit man eine wirklich gute Durchimpfungsrate bekommt. Was nicht passieren wird, ist, dass das Virus einfach verschwinden wird. Aber es wird wahrscheinlich kein großes Problem mehr darstellen.“ ⫻

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Free influenza vaccination programme in Mexico City
Interview

Corona-Impfung: „Rückkehr zum normalen Leben muss jedem ein Anliegen sein“

Clemens-Martin Auer überwacht die EU-Impfstoffverhandlungen. In Österreich könnte im Jänner geimpft werden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.