Interview

„Salzburgs Wirtschaft ist mehr als Tourismus und Kultur“

INTERVIEW: LH WILFRIED HASLAUER
INTERVIEW: LH WILFRIED HASLAUER(c) BARBARA GINDL / APA / picturedesk.com
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Der Tourismus als eines der Standbeine der Salzburger Wirtschaft ist von Corona stark getroffen. Für Landeshauptmann Haslauer ist nun Zeit, um in Infrastrukturprojekte zu investieren.

Corona stellt unser soziales und wirtschaftliches Leben infrage. Gehören Sie zu jenen, die sagen, in der Krise liegt eine Chance?

Wilfried Haslauer: Zuallererst ist diese Pandemie eine Gemeinheit. Sie greift in unsere Lebenskultur ein, sie verhindert Nähe, wir leiden alle persönlich und wirtschaftlich darunter. Aber natürlich ergeben sich auch Chancen, weil wir uns anpassen und anders verhalten müssen. Die großen Investitionsprogramme, die wir in Salzburg in Angriff nehmen, wären in dieser Intensität unter normalen Umständen sicher nicht möglich gewesen.

Welche Schwerpunkte rechtfertigen das Abweichen von dem Ziel, keine Schulden mehr zu machen?

Wir vertreten die Philosophie, dass aus jeder Investition ein Mehrwert entstehen muss. Die 300 Mio. Euro, die wir in den Ausbau und die Modernisierung der Spitäler stecken, verbessern die Gesundheitsversorgung, und sie schaffen Arbeitsplätze. Diesen Mehrwert gibt es auch im Verkehrsbereich – wir machen den öffentlichen Verkehr attraktiver und stärken den Klimaschutz. Das Gleiche gilt für die Kulturbauten: Sie zahlen auf unser Stärkefeld Kultur ein, sorgen aber auch für Beschäftigung und Wohlstand.

Salzburg ist ein Land der kleinen und mittleren Unternehmen, ein Land der Familienbetriebe. Ist das in der jetzigen Situation ein Vor- oder ein Nachteil?

Ich sehe eher einen Vorteil, weil sich ein kleines Unternehmen leichter tut, flexibel auf geänderte Verhältnisse zu reagieren.

Durch Corona wurde auch deutlich, wie schnell globale Lieferketten nicht mehr funktioniert haben. Welche Lehren ziehen Sie daraus?

Für sensible Schlüsselprodukte darf nicht nur die wirtschaftliche Effizienz zählen. Lebenswichtige Dinge sollte man selbst im Land haben, auch wenn im Inland vielleicht teurer produziert werden muss. Unabhängigkeit in Schlüsselbereichen ist enorm wichtig.

Mit welcher Entwicklung rechnen Sie in der Salzburger Wirtschaft in den kommenden Monaten?

Wir sind nach dem Lockdown im Frühjahr eigentlich wieder gut auf die Beine gekommen. Aber mit dem Steigen der Infektionszahlen wächst die Unsicherheit. Für eine Volkswirtschaft, die wie unsere zu 65 Prozent exportorientiert ist, reicht der Blick in das eigene Land nicht aus. Die Entwicklung macht mir große Sorgen.

Was, wenn die touristische Wintersaison wegen steigender Infektionszahlen ausfällt?

Wir werden in jedem Fall einen Wintertourismus haben. Unsere Hoteliers und Seilbahnen haben in diesem schwierigen Sommer gezeigt, dass sie es technisch können und die umgesetzten Sicherheitskonzepte funktionieren. Aber angesichts der vielen Reisewarnungen wird es sehr schwer werden, Deutschland und Tschechien sind unsere Hauptmärkte im Winter. Ich hoffe, dass die Maßnahmen, die wir zur Eindämmung der Infektionen getroffen haben, wirken und sich die Lage bis zum Beginn der Wintersaison positiver entwickelt. Anders als im Sommer gibt es im Winter wenig zusätzliches Potenzial, Österreicher für einen Urlaub im Inland zu gewinnen. Den Skiurlaub haben viele Österreicher bisher ohnehin im eigenen Land verbracht.

Hat man in der Zeit der fast selbstverständlichen Rekorde übersehen, wie vulnerabel die Branche ist?

Als ich 2004 das Tourismusressort übernommen habe, lagen wir in Salzburg bei 21 Millionen Nächtigungen pro Jahr. Damals waren 30 Millionen Nächtigungen unser Entwicklungsziel. Das haben wir erreicht. Das ist für unsere Struktur eine optimale Größe. Wenn wir diese halten können und die Schraube weiter in Richtung Qualität und mehr Wertschöpfung drehen, liegen wir richtig.

Aber danach sieht es nicht aus.

Der Tourismus bleibt wichtig, die Menschen haben Sehnsucht nach Urlaub. Im Sommer haben wir gesehen, wie die Berge als Urlaubsziel wiederentdeckt wurden.

Wo sehen Sie die Zukunftschancen touristischer Angebote? Wird Urlaub zum Luxusgut?

Salzburg setzt auf Qualität, die kostet natürlich auch. Es ist eine strategische Frage, ob ich mich als Billigdestination oder als Qualitätsland positionieren will. Es braucht aber eine kluge Kombination. Ein qualitatives Drei-Sterne-Angebot für Familien ist wichtig, um die Gäste von morgen anzusprechen. Man weiß, dass viele Menschen dort hinfahren, wo sie die Urlaube ihrer Kindheit verbracht haben.

Wie kann Wintertourismus heuer überhaupt aussehen?

Après-Ski oder die Einkehr an der Schirmbar wird es in diesem Winter nicht geben. Für das Mittagessen auf der Hütte wird man wahrscheinlich reservieren müssen. Die Unternehmer sind findige Leute, die stellen sich um.

Braucht es europaweit einheitliche Standards bei Reisewarnungen und Quarantänebestimmungen?

Ich halte das für dringend notwendig. Wir haben zu viele unterschiedliche Kriterien, die für Reisewarnungen herangezogen werden. Wenn beispielsweise bei der Rückkehr ein Gesundheitstest nicht reicht, sondern man automatisch für fünf Tage in Quarantäne muss, ist das wie ein Eisener Vorhang.

Saisonarbeitskräfte aus dem Ausland wird es heuer in den Tourismusgebieten wohl nicht geben.

Die fehlenden Mitarbeiter bleiben eine Wachstumsbremse, unsere Unternehmen bekommen nur schwer Arbeitskräfte. Wir sehen ein merkwürdiges Phänomen bei den Arbeitslosen: Die Verweigerungsquote liegt bei 48 Prozent. Das heißt, dass zumutbare Jobs nicht angenommen werden, auch wenn die Betroffenen dadurch die Unterstützung verlieren. Offensichtlich haben sich viele Menschen daran gewöhnt, dass man auch ohne regelmäßige Arbeit irgendwie zurechtkommt.

Tourismus und Kultur sind Salzburgs Aushängeschilder. Muss sich Salzburgs Wirtschaft angesichts der Pandemie neu orientieren?

Salzburgs Wirtschaft ist viel mehr als Tourismus und Kultur. Natürlich spielt der Tourismus in den südlichen Bezirken eine sehr große Rolle. Saalbach-Hinterglemm mit 3000 Einwohnern kommt auf drei Millionen Gästenächtigungen. Im Großraum der Stadt Salzburg gibt es Tourismus, aber auch viele andere Stärkefelder. Wir haben sehr viel Handel, Dienstleistung, Industrie. Salzburg ist breit aufgestellt, einige Branchen – wie der Lebensmittelhandel – haben in den vergangenen Monaten zum Teil zweistellige Zuwachsraten erzielt. Es gibt eine starke Kreativwirtschaft, viele Unternehmen im Umfeld von Kultur und Design.

Was sind die Stärkefelder, die Salzburg in den nächsten Jahren weiterentwickeln muss?

In unserer Wissenschafts- und Innovationsstrategie WISS 2025 konzentrieren wir uns auf Zukunftsthemen wie Life-Sciences, Informations- und Kommunikationstechnologie, die Entwicklung intelligenter Materialien, das alpine Bauen mit dem Rohstoff Holz und die Kreativwirtschaft. Wir haben in den vergangenen Jahren 100 Projekte mit einem Volumen von 58,7 Millionen Euro umgesetzt – alles Projekte, aus denen sich viele neue wirtschaftliche Chancen ergeben.

Stichwort Digitalisierung: Haben sich in der Krise Lücken gezeigt?

Wir liegen da sehr gut. Salzburg ist bei der Breitbanderschließung in Österreich auf Platz eins, weit vor Wien. Und das, obwohl wir topografisch in keiner einfachen Situation sind. Bis 2030 investiert die Salzburg AG 250 Millionen Euro in den weiteren Breitbandausbau. Das passt zu unserem Konzept, die ländlichen Regionen attraktiv zu halten. Das Breitband ist der Güterweg des 21. Jahrhunderts. Dazu kommt unsere Digitalisierungsoffensive, mit der wir seit Beginn der Förderaktion 148 Anträge mit 15,5 Millionen Euro gefördert haben.

Oberösterreich hat gerade eine technische Universität zugesagt bekommen. Und Salzburg?

Wir werden an der Universität Salzburg eine Fakultät für digitale und analytische Wissenschaften einrichten und vorhandene Kompetenzen wie Geoinformatik, Computerwissenschaften oder Data Science bündeln. Das soll ein echter Leuchtturm werden.

Wie weit ist das Projekt der Stadtregionalbahn?

So weit wie noch nie. Ziel ist, noch in diesem Jahr eine Absichtserklärung zum Bau des ersten Abschnitts bis zum Mirabellplatz zwischen Land, Stadt und Bund zu unterschreiben. Wir haben das Projekt in der mittelfristigen Finanzplanung berücksichtigt.

Salzburg nähert sich der Halbzeit der Legislaturperiode. Ihr Ziel für die zweite Hälfte?

Ich will das restliche Regierungsprogramm umsetzen. Vieles ist ohnehin schon erledigt, mit der Budgetklausur haben wir die nächsten großen Projekte auf den Weg gebracht. Die Plattform Pflege, die Lehrlingsoffensive, die Kultur- und Spitalsbauten, das neue Landesdienstleistungszentrum oder die Bezirkshauptmannschaft im Flachgau – alle diese Vorhaben sind schon eingetaktet.

Informationen:

Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) hofft noch immer, dass heuer Wintertourismus stattfinden kann. Es werde aber nicht möglich sein, dass die Unternehmen wie früher auf ausländisches Personal zurückgreifen können. „Die fehlenden Mitarbeiter bleiben eine Wachstumsbremse, unsere Unternehmen bekommen nur schwer Arbeitskräfte“, betont Haslauer und meint: „Wir sehen nämlich ein merkwürdiges Phänomen bei den Arbeitslosen: Die Verweigerungsquote liegt bei 48 Prozent. Das heißt, dass zumutbare Jobs nicht angenommen werden, auch wenn die Betroffenen dadurch die Unterstützung verlieren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2020)

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