Interview

„Mit dem Oberösterreich-Plan investieren wir in alle Bereiche und Regionen“

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Stelzer setzt die Schuldenbremse aus, „solang uns Corona fordert“. Mit seinem „Oberösterreich-Plan“ fließen 1,2 Milliarden Euro in die Krisenbekämpfung

Herr Landeshauptmann, im Vorjahr waren Sie noch voller Zuversicht, dass Oberösterreich die Schuldenbremse ziehen kann und jährlich rund 100 Millionen Euro vom Schuldenberg abträgt. Dann kam diesen März Corona, und die Null-Schulden-Politik ist seither Geschichte. Wie viel Geld kostet Oberösterreich der Kampf gegen Pandemie und Wirtschaftskrise?

Thomas Stelzer: Die Bewältigung der Coronakrise reißt ein großes Loch in den Haushalt. Seit 2018 haben wir eine halbe Milliarde Euro Schulden zurückgezahlt – jetzt rechnen wir allein im Jahr 2020 mit über 740 Millionen Euro Defizit. Für das Jahr 2021 gehen wir von einem Budgetloch von 765 Millionen Euro aus. Fakt ist aber, dass sich unsere konsequente Null-Schulden-Politik der vergangenen Jahre genau jetzt bezahlt macht. Denn dadurch können wir jetzt mehr helfen. Unter anderem durch ein eigenes 580-Millionen-Euro-Hilfspaket, ein eigenes 344-Millionen-Euro-Gemeindepaket sowie durch unseren Oberösterreich-Plan, mit dem wir mehr als 1,2 Milliarden Euro zusätzlich investieren, um Arbeitsplätze zu sichern und die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Das bestätigt auch ein aktuelles Rating von Standard & Poor's.

Auf wie viele Milliarden Euro wird der Schuldenstand steigen? Und ab wann rechnen Sie realistisch, dass man wieder ans Sparen und Schuldenreduzieren denken kann?

Insgesamt ist derzeit in den kommenden fünf Jahren von einem Nettofinanzierungssaldo in der Höhe von insgesamt rund 2,9 Milliarden Euro auszugehen. Durch Corona werden wir unsere Schuldenbremse – solang uns Corona fordert und dies notwendig ist – aussetzen. Wenn wir die Krise bewältigt haben, will ich eine Rückkehr zu unserem Chancen-statt-Schulden-Haushalt.

Bei der Krisenbekämpfung: Wofür wird das meiste Geld aufgewendet werden müssen?

Mit dem Oberösterreich-Plan investieren wir in alle Bereiche und Regionen des Landes. Insbesondere in die Gesundheitsversorgung, Infrastruktur, Beschäftigung, Bildung und in die Bereiche Soziales und Nachhaltigkeit. Insgesamt wird durch den Oberösterreich-Plan ein Investitionsvolumen von rund 2,5 Milliarden Euro ausgelöst.

Gibt es konkrete Projekte, die in den kommenden ein bis drei Jahren hintangestellt werden müssen, weil das Geld dafür fehlt?

Wir machen genau das Gegenteil. Wir ziehen Projekte, die wir in der Zukunft geplant haben, finanziell vor und investieren jetzt. Etwa schaffen wir mit zusätzlich 85 Millionen Euro weitere 100 Wohnplätze pro Jahr für Menschen mit Beeinträchtigung.

Oberösterreich ist unter allen Bundesländern zum Corona-Hotspot geworden. Was ist schiefgelaufen? Immerhin war Oberösterreich das einzige Land, das den Sommer hindurch die Maske im geschlossenen öffentlichen Raum verfügt hat.

Wir wissen, dass wir mit höchster Qualität testen und daher sicher auch einen hohen Prozentsatz an positiven Testergebnissen ermitteln. Aber der zentrale Indikator ist die Lage auf den Intensivstationen, und da liegen wir im Schnitt. Immer wieder waren einzelne Länder vorn.

Wie bekämpfen Sie und Ihr Krisenstab die Pandemie?

Wir sind bei den Schutzmaßnahmen oft vorangegangen: bei den Schutzmasken im Sommer, mit dem Verbot von Garagenpartys, bei den Einkaufszentren oder dem Besuchsverbot in Alten- und Pflegeheimen. Wir versuchen unsere Maßnahmen immer punktgenau und verhältnismäßig zu setzen.

Werden wir Weihnachten und Neujahr ohne massive Covid-19-Einschränkungen feiern können?

Weihnachten und Neujahr werden Feste der Familie bleiben, aber ein großes Feiern im klassischen Sinn wird es wohl nicht geben können, damit wir unser Gesundheitssystem nicht überlasten.

Obwohl Österreich eines der besten Gesundheits- und Spitalssysteme der Welt hat, zeigt die Pandemie, wie verwundbar dennoch unser Spitalswesen ist. Werden die Landeskliniken aufgerüstet?

Oberösterreich hat immer massiv in die Spitäler und in die regionale Gesundheitsversorgung investiert. In den kommenden Jahren werden wir 400 Millionen Euro zusätzlich in die Spitäler investieren.

Obwohl Oberösterreich noch die niedrigste Arbeitslosenquote aller Länder hat, geht auch hier viel Unsicherheit vom Arbeitsmarkt aus. Im Winter könnten die Zahlen kräftig steigen. Mit welchen Maßnahmen kann man gegensteuern?

Direkt in den Bereich Arbeit und Beschäftigung fließen aus dem Oberösterreich-Plan 130 Millionen Euro zusätzlich. Gemeinsam mit der WKO, der AK und dem AMS OÖ investiert das Land 20 Millionen Euro in das „OÖ. Zukunftsstiftungspaket“, um Menschen zu unterstützen, die ihren Job verloren haben bzw. verlieren. Insbesondere auch das Kurzarbeitsmodell ist ein gutes Instrument.

Wie stark wird Oberösterreichs Wirtschaft durch Corona leiden?

2020 wird die regionale Wirtschaftsleistung in Oberösterreich um sieben bis acht Prozent schrumpfen. Aber für das kommende Jahr erwarten wir wieder einen Aufschwung von unter vier Prozent. Bis dahin ist es wichtig, dass bei den Überbrückungshilfen niemand durch die Finger schaut oder vergessen wird, damit die Betriebe wieder durchstarten können.

Die Handelswege in die Welt gestalten sich schwierig. Alle paar Wochen kommt eine schlechte Nachricht von Paradeunternehmen über schlechte Ergebnisse und Kündigungen – Voestalpine, Engel, FACC. Muss man sich um die Exportwirtschaft sorgen?

Natürlich hat Oberösterreich als Exportbundesland Nummer eins der Republik hier besondere Herausforderungen, vor allem auch durch die zweite Coronawelle. Wir hoffen hier auf eine rasche Stabilisierung. Zuletzt haben sich viele Auftragsbücher wieder gefüllt.

Und dann gibt es leider noch MAN in Steyr. Der Lastwagenhersteller will ja 2023 zusperren. Ist da das letzte Wort schon gesprochen? Gibt es noch eine Mini-Chance für die 2300 MAN-Mitarbeiter oder geht es nur noch darum, für das Industriegelände einen neuen Industriekonzern oder Investor an Land zu ziehen?

Wir werden noch viele Verhandlungen zu führen haben und werden um den Standort MAN und für die rund 2300 Mitarbeiter kämpfen. Ich lade die Konzernzentrale ein, daran zu denken, was Volkswagen an Steyr und am Standort Oberösterreich alles hat, was eine Billiglohnregion nicht bieten kann. Beispielsweise eine eigene, einzigartige Universität für Digitalisierung, die in Oberösterreich schon bald ihre Pforten öffnen wird. Denn wir wollen uns vor der digitalen Transformation nicht hertreiben lassen, sondern selber Tempomacher sein und mitgestalten. Wir sind daher froh, dass wir uns in Wien durchsetzen konnten und hier eine eigenständige Universität für Digitalisierung schaffen können.

Ein Jackpot für die Steyrer Wirtschaft und die MAN-Beschäftigten wäre, ein „zweites BMW“ in die Region zu bringen, wie damals 1980. In der derzeitigen Weltwirtschaftslage scheint das aber fast utopisch. Schafft man für Steyr und die 2300 MAN-Beschäftigten keine Zukunftslösung, was wäre die Alternative?

Wie gesagt, wir werden weiter kämpfen und alle Möglichkeiten ausloten, um die Jobs bei MAN in Steyr zu sichern. Was BMW betrifft: Der Konzern verlagert aktuell einen Großteil seiner bisherigen Motorenproduktion von München nach Steyr, was den dortigen Standort doppelt absichert. Davon profitiert der gesamte Wirtschaftsstandort Oberösterreich.

2021 ist in Oberösterreich ein wichtiges Jahr – weil Landtagswahlen sind. Der Coronakampf und die Wirtschaftskrise werden sicher die Dauerthemen sein. Streben Sie einen kurzen Wahlkampf an oder müssen wir uns bis Herbst auf viele Monate des Hickhacks einstellen?

Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um über eine Wahl in einem Jahr nachzudenken. Wir müssen unsere ganze Energie darauf fokussieren, die Coronakrise bestmöglich zu bewältigen.

In turbulenten und gefahrvollen Zeiten neigen die Menschen dazu, Sicherheit und Vertrautes zu wählen. Zuletzt (2015) hatte ihre ÖVP 36,4 Prozent der Stimmen. Sind 40 plus für Sie ein realistisches Wahlziel?

Wie gesagt, ich denke jetzt nicht an eine Wahl in einem Jahr. Diese Zahlenspiele überlasse ich anderen.

Oberösterreich hat eine Proporzregierung; das heißt, Parteien sind ab einer bestimmten Mandatsstärke fix in der Regierung vertreten. Finden Sie diese Form der All-Parteien-Regierung noch zeitgemäß?

In Oberösterreich baut man seit jeher auf ein Miteinander. Es gibt derzeit keine Verfassungsmehrheit, um dieses Regierungsmodell zu ändern.

Können Sie sich vorstellen, die Koalition mit der FPÖ fortzusetzen?

Die Zusammenarbeit ist sachlich und funktioniert. Für koalitionäre Farbenspiele nach der Wahl ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.

Information:

Thomas Stelzer (53) ist seit April 2017 Landeshauptmann von Oberösterreich und Obmann der ÖVP Oberösterreich. Außerdem ist Stelzer auch ÖVP-Bundesobmann-Stellvertreter.

Der gebürtige Linzer und studierte Jurist ist seit 1991 in der Politik. Anfangs Kommunalpolitiker in Linz, gehört Stelzer seit 1997 dem oberösterreichischen Landtag an. Als Landeshauptmann verantwortet er die Agenden Finanzen, Kultur, Personal und Jugend.
Im Herbst 2021 wählt Oberösterreich seinen neuen Landtag. Es ist auch Stelzers erste Wahl als Landeshauptmann. Vor fünf Jahren erlangte die ÖVP 36,4 Prozent der Stimmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2020)

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