Die Wörter für „Milch“ sind in vielen europäischen Sprachen miteinander verwandt. Aber nicht in allen.
Die Debatte ums (Wiener) Blut haben wir kaum überstanden, da dräut schon der nächste liquide Diskurs – über eine Flüssigkeit, die man mit demselben Recht als „besonderen Saft“ bezeichnen könnte: die Milch. Die niederösterreichische Molkerei liefert seit zirka drei Wochen Vollmilchpackungen, die sowohl deutsch als auch türkisch – u.a. mit dem türkischen Wort für Milch: „süt“ – bedruckt sind.
Obwohl die NÖM damit nur türkische Geschäfte beliefert, haben sich schon Menschen gefunden, die das anstößig finden: In der NÖM-Zentrale in Baden bei Wien sind zahlreiche Protestanrufe und -mails eingegangen. Immerhin hat die FPÖ sich noch nicht zu Wort gemeldet, um die Milch zu verteidigen: Über die Verbindung Muttermilch ließen sich womöglich, so paradox das klingen mag, patriotische Instinkte wecken.
Natürlich, der Wiener ist es gewohnt, dass seine Milch nicht immer „Milch“ heißt. Er bestellt sich in Frankreich, wohl wissend, dass man dort nicht „Melange“ sagt, z.B. einen „café au lait“ und in Italien einen „caffè e latte“. In England staunt er darüber, dass dort „latte“ nicht für „Milch“ steht, sondern – quasi Pars pro Toto – für „Milchkaffee“, auch dort das Bobo-Getränk par excellence. Diese Wörter stammen alle vom lateinischen „lac“ ab, das mit dem altgriechischen „gala“ verwandt ist, von dem sich immerhin eine viel größere Heimat ableitet: die „Galaxie“, die Milchstraße.
Das tschechische „mléko“ und das kroatische „mlijeka“ sind dem deutschen „Milch“ offensichtlich verwandt, aber auch das tocharische „malkwer“ (Tocharisch wurde vor ca. 1500 Jahren in China gesprochen!). Die meisten Sprachforscher vermuten, dass der gemeinsame Ursprung ein indogermanisches Wort für „melken“ war.
Stammen „lac“ und „gala“ von derselben Wurzel? Das etymologische Wörterbuch „Kluge“ schreibt, die Wörter seien „zumindest nicht unähnlich“. „Dem lautlich und morphologisch ganz undurchsichtigen Befund nach zu urteilen, ist nicht ausgeschlossen, dass sehr alte Entlehnungen vorliegen, die im Fall des Germanischen, Keltischen, Slawischen und Tocharischen an das Wort für ,melken‘ lautlich angeschlossen worden sind.“ Andere keltische Wörter für Milch (z.B. irisch „bainne“) leiten sich aber von einem Wort für „Tropfen“ ab.
Irreführen kann das ungarische Wort für Milch. Es heißt „téj“, das ist ein ganz anderer Wortstamm: Ungarisch gehört nicht zur indogermanischen, sondern zur uralischen Sprachfamilie. Im Kasachischen, das wie Türkisch zur Familie der Turksprachen zählt, heißt die Milch „cüt“. Wie wichtig die Milch in der türkischen Kultur ist, zeigt das türkische Wort für „Blutsbruder“: „Süt kardeşler“ heißt eigentlich „Milchbrüder“. Es zählt also nicht die genetische Abstammung, sondern das gemeinsame Aufwachsen, symbolisiert durch das Gesäugtwerden.
Das arabische Wort für Milch ist „halib“, verwandt mit dem hebräischen „halav“. Das seltenere „laban“ bedeutet in manchen Ländern „Milch“ und anderswo „saure Milch“. Es mag Hobby-Etymologen an das deutsche Wort „Lab“ für „geronnene Milch“ erinnern – seriöse Arabisten wollen aber keine Verwandtschaft diagnostizieren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2010)