Terrorismus

Anschlag in Wien: Ab heute verstärkter Schutz von Kirchen

ANSCHLAG IN WIEN: PASSANTEN GEDENKEN DEN OPFERN AM TATORT IN DER WIENER INNENSTADT
ANSCHLAG IN WIEN: PASSANTEN GEDENKEN DEN OPFERN AM TATORT IN DER WIENER INNENSTADTAPA/BARBARA GINDL
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Man könne nicht ausschließen, dass der Attentäter von Wien auch gezielt Kirchen attackieren wollte, sagte Innenminister Karl Nehammer. Der gerade veröffentlichte Verfassungsschutzbericht bestätigt die Gefahrenlage und warnt vor Anschlägen auf Krankenhäuser.

Die Ermittlungen nach dem Anschlag in Wien am 2. November schreiten voran, neue Erkenntisse haben Innenminister Karl Nehammer zu einem weiteren Schritt genötigt: „Ab sofort“, also ab Donnerstag, werden in Österreich Kirchen und andere Gebäude der Religionsausübung verstärkt geschützt. Der Grund: Es könne „nicht ausgeschlossen werden", dass der Attentäter, der in der Wiener Innenstadt vier Passanten getötet hat „auch bewusst in Kirchen Opfer suchen wollte“, sagte Nehammer.

Ab sofort gibt es eine erhöhte Polizeipräsenz bei religiösen Gebäuden. So werde die Sondereinheit Cobra sowie andere Kräfte sowohl in Uniform als auch in Zivil im Einsatz sein, ergänzte der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf. Denn es bestehe weiterhin eine erhöhte Gefährdungslage in ganz Österreich, die „heikle Phase“ nach dem Terroranschlag sei noch nicht vorbei. Konkrete Hinweise auf Anschläge auf Gotteshäuser gibt es offenbar nicht, es handle sich derzeit um eine Vorsichtsmaßnahme, besonders vor Nachahmungstätern.

Es werden sowohl christliche Kirchen als auch Gebäude anderer Religionsgemeinschaften geschützt - allerdings nicht alle in Österreich, denn davon gebe es „etliche 1000“, sagte der Innenminister. Die Religionsgemeinschaften würden aber derzeit von der Kultusministerin Susanne Raab informiert. Sie seien dazu angehalten, ungewöhnliche Vorgänge in der Nähe von Gebäuden bei den Sicherheitsbehörden zu melden, um die  jeweiligen Schutz besser abstimmen zu können.

Spezialeinheit patrouilliert in ganz Österreich

Zudem wurde am Donnerstag das „Rapid Response Team“, also die Schnelle Eingreiftruppe der Cobra vorgestellt. Diese wird ebenfalls verstärkt in ganz Österreich patrouillieren. Zur Veranschaulichung brachte Brigadier Hannes Gulnbrein gleich ein solches Team mit, das einen kurzen Einsatz simulierte. Zwei gepanzerte schwarze Wägen fuhren am Minoritenplatz vor, aus denen mehrere, in olivgrün gekleidete, schwer bewaffnete Polizeibeamte stürmten und sich dann in gebückter Haltung an der nächsten Häuserwand entlang vorarbeiteten. Die Festnahme eines Täters wurde nicht simuliert - Gulnbrein bat um Verständnis, dass dies nicht möglich sei.

PK BMI 'VORSTELLUNG DES KONZEPTS 'RAPID RESPONSE TEAMS' DES EKO COBRA/DSE'
PK BMI 'VORSTELLUNG DES KONZEPTS 'RAPID RESPONSE TEAMS' DES EKO COBRA/DSE'APA/ROLAND SCHLAGER

Dass diese Teams fortan in ganz Österreich präsent sein werden, ermögliche eine rasche Interventionsfähigkeit, zudem sorge die öffentliche Präsenz auch für Abschreckung, sagte Gulnbrein.

Verfassungsschutzbericht: Gefahr war da

Doch schon vor dem Anschlag in Wien gab es eine „anhaltende und erhöhte Gefahr" islamistischer Terroranschläge in Österreich. Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht 2019 hervor, den das Innenministerium ungewöhnlich still und heimlich auf seiner Internetseite veröffentlicht hat.

"Die Gefahr von islamistisch motivierten Anschlägen durch radikalisierte Einzeltäter oder autonom agierende Kleinstgruppen und Zellen, die Anschläge ohne direkten Auftrag bzw. Anleitung einer terroristischen Organisation ausführen, bleibt in Europa sehr wahrscheinlich weiterhin erhöht", schreibt das Innenministerium und prophezeit: "Attraktivität und Anziehungskraft islamistischer Ideologien, insbesondere mit salafistisch-jihadistischer Prägung, werden auf nicht absehbare Zeit ungebrochen bleiben."

Der 2018 erkennbare rückläufige Trend in Hinblick auf die Häufigkeit islamistischer Anschläge, setzte sich im vergangenen Jahr fort: Europaweit - auch in Österreich - ereignete sich 2019 kein größerer islamistisch motivierter Terroranschlag. "Dennoch stellen jihadistisch inspirierte Anschlagsplanungen unverändert und in absehbarer Zeit eine der größten sicherheitspolitischen Herausforderungen für Europa und Österreich dar" - was sich vor dreieinhalb Wochen in Wien bestätigen sollte.

Krankenhäuser im Visier

Und auch auf das in Wien gewählte Anschlagziel nimmt der Verfassungsschutzbericht 2019 bereits Bezug: Die Anschläge zielen in der Regel darauf ab, "größtmöglichen Personen- und Sachschaden zu verursachen." Bei der Auswahl der Anschlagziele spielen "strategische und praktische Überlegungen eine Rolle". Das potenzielle Zielspektrum islamistischer Terroristen reicht von Objekten der Kritischen Infrastruktur bis zu sogenannten "weichen Zielen".

Der Schutz kritischer Infrastruktur (SKI) gewinne immer mehr an Bedeutung, stellt der Verfassungsschutzbericht fest. Die Gesundheitsversorgung ist dabei ein wesentlicher Eckpfeiler. "Im Fokus der Angreifer stehen immer häufiger auch medizinische Einrichtungen wie Krankenhäuser", warnt der Bericht, aber auch Pharmazieherstellernoder auch  Rettungsorganisationen.

Aufrufe im Internet

Die Bedrohung gehe hauptsächlich von radikalisierten Einzelaktivisten und potenziellen Nachahmungstätern aus, die durch die jihadistische Ideologie inspiriert und durch Aufrufe in sozialen Medien motiviert wurden. So werde in einschlägigen Medien bzw. Foren „immer wieder auch zu Anschlägen auf stark frequentierten Plätzen aufgerufen." Auch bei dem Wiener Attentäter dürfte es sich laut derzeitigem Ermittlungsstand um einen Einzeltäter gehandelt habe. "Zudem finden potenzielle Einzeltäter im Internet zahlreiche Anleitungen zur Herstellung von Sprengmitteln und verschiedenen Giften (z.B. Rizin)."

Die Typologie von Jihadisten wird in dem Bericht als heterogen beschrieben. Sie reicht von "gescheiterten Existenzen", die oftmals arbeitslos bzw. beruflich erfolglos waren bis hin zum religiösen oder politischen Fanatiker.

Die Ausreisen aus Österreich in Kriegsbiete in Syrien und im Irak sind seit  2015 stetig zurückgegangen. Ende des Jahres 2019 BVT insgesamt 326 aus Österreich stammende Personen bekannt, die sich aktiv am Jihad in Syrien und dem Irak beteiligten oder beteiligen wollten. Davon sind vermutlich 69 Personen in der Region ums Leben gekommen und 93 Personen wieder nach Österreich zurückgekehrt. Weitere 62 konnten an einer Ausreise gehindert werden und halten sich nach wie vor im Bundesgebiet auf. Auch der Wiener Attentäter wollte über die Türkei nach Syrien reisen, ist daran aber gescheitert. 102 Jihad-Reisende dürften sich noch im Kriegsgebiet befunden haben.

(twi)

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