Reformvorschläge

Wie mehr Leben in die Nato kommen soll

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.(c) APA/AFP/FRANCOIS WALSCHAERTS
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Experten empfehlen neue Verfahren nach Macrons „Hirntod“-Diagnose.

Brüssel/Wien. Acht Monate brütete die zehnköpfige Expertengruppe unter dem Vorsitz des früheren deutschen Verteidigungs- und Innenministers Thomas de Maizière sowie des US-Spitzendiplomaten Wess Mitchell über Vorschlägen, wie man die nordatlantische Verteidigungsallianz aus ihrem Zustand des „Hirntodes“ – so Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron – zurück ins pralle Leben holen könnte.

Am Mittwoch verbreitete die Gruppe Nato-intern, zu welchem Ergebnis sie bei dem Nachdenkprozess gekommen ist. Am kommenden Dienstag sollen die Nato-Außenminister bei einer Videokonferenz die Empfehlungen der Experten diskutieren. Laut ersten, zur Nachrichtenagentur DPA durchgesickerten Informationen befinden sich unter den Vorschlägen auch etliche heikle und innovative Ansätze:

► Einzelnen Ländern unter den inzwischen 30 Mitgliedstaaten soll es erschwert werden, Entscheidungen des Bündnisses zu blockieren. Vor allem den derzeitigen Regierungen in Ungarn und der Türkei dürfte das gar nicht gefallen: Ungarn nutzt seit 2017 sein Veto, um wegen eines Streits mit Kiew Treffen der Nato-Ukraine-Kommission auf hoher Ebene zu verhindern. Ankara blockiert wegen türkeikritischer Aussagen österreichischer Politiker die Zusammenarbeit der Nato mit dem Bundesheer im Rahmen der Partnerschaft für Frieden (PfP).

► Auch eine engere Zusammenarbeit der Nato mit der EU ist nicht im Sinne der Regierung in Ankara, die sich mit der Union in mehreren Punkten in den Haaren liegt. Die jetzige britische Regierung steht einem Ausbau der Kooperation mit der EU ebenfalls eher skeptisch gegenüber.

► Zur Stärkung der politischen Zusammenarbeit soll es mehr Gespräche auf hoher politischer Ebene geben. Freilich, schon jetzt treffen sich die Außen- und die Verteidigungsminister zweimal im Jahr, zur Frühjahrs- und zur Herbsttagung, die Staats- und Regierungschefs treffen sich in Zwei-Jahres-Abständen; in Brüssel kommen die Botschafter bei der Nato drei- bis viermal pro Woche zusammen. Die Experten regen an, dass auch die Innenminister aus den Nato-Staaten zusammentreffen, um sich etwa über Terrorbekämpfung zu beraten.

Präsident Macron hatte vor einem Jahr aus Ärger über das unabgesprochene Vorgehen der USA und der Türkei in Syrien der Nato den „Hirntod“ attestiert. Er drängt in der Sicherheitspolitik auf mehr „strategische Autonomie und Souveränität“ der Europäer. Damit provozierte er zuletzt den Widerspruch der deutschen Verteidigungsministerin, Annegret Kramp-Karrenbauer, die betont, ohne die USA könne sich Europa derzeit nicht selbst verteidigen. (b.b.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2020)

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