Fahrbericht

BMW vs. Mercedes: 1000 Kilometer und mehr, gern auf einen Sitz

Viel Laderaum, ohne Kombi zu sein: BMW 640d Gran Turismo.
Viel Laderaum, ohne Kombi zu sein: BMW 640d Gran Turismo. (c) Die Presse/Clemens Fabry
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Sechszylinder-Opulenz, üppiger Laderaum und die gleiche (hohe) Preisklasse verbinden BMW 640d Gran Turismo und Mercedes E 400d T-Modell. Was noch?

Wien. Diskreter kann man solche Motorengewalt kaum unterbringen als im 6er Gran Turismo. Natürlich, ein heutiger BMW mit seinem funkelnden Scheinwerferblick und der prominent aufragenden Markenzeichen-Niere ist nie ein unauffälliges Auto, aber dass es sich im Fall des 640d ganz eigentlich um ein Muscle Car handelt, würde man äußerlich eher nicht vermuten.

Der Muskel stammt aus dem Motorenwerk Steyr in Oberösterreich, hat drei Liter Hubraum und ist in bewährter Reihenbauweise für ruhigen Lauf und kultivierte Kraftentfaltung angelegt. Maximal 340 PS und 700 Newtonmeter Drehmoment lassen sich entfachen, und weil Allradantrieb erdet, geht nichts von dem schönen Schub im Schlupf durchdrehender Räder verloren. Wer zum 640d greift, hat offenbar Freude an dieser Opulenz, ohne sie herzeigen zu müssen. Und es wäre kein Dieselmotor, hätte der Mensch am Steuer nicht immer auch einen Blick auf den Verbrauch – in unserem Fall waren es um die acht Liter. Mit etwas mehr Langstrecke, als wir im Lockdown zuwege brachten, und mehr Ehrgeiz in diese Richtung sollte da noch etwas zu holen sein. Nach unten.

Dabei fährt das Auto ja nicht nur, sondern unterhält auch ein Habitat mit auf Wunsch ionisierter und dezent bedufteter Raumluft, in dem man kürzere Flugdistanzen ohne Entbehrung bodennah abspult: Auf den beheizten, belüfteten Ledersitzen mit extraweichem Kopfpolster lässt man sich die tatsächlich sehr brauchbare Massagefunktion mit Programmen von Lende bis Nacken gern gefallen, dem Klang der Bowers-and-Wilkins-Anlage wird gelauscht.

Ebenfalls mit der Besonderheit eines Reihensechszylinders: Mercedes E 400d T-Modell. Leistung und Drehmoment sind ident: 330 PS, 700 Nm. Der BMW war im Test sparsamer.
Ebenfalls mit der Besonderheit eines Reihensechszylinders: Mercedes E 400d T-Modell. Leistung und Drehmoment sind ident: 330 PS, 700 Nm. Der BMW war im Test sparsamer. (c) Werk

Droht Ennui, dialogisiert man etwas mit dem Bordsystem, schafft dieses oder jenes an, lässt sich den einen oder anderen faden Witz erzählen – Computer können das einfach nicht –, oder schaut mit dem Kommando „Ich bin müde“, was sich die Ingenieure zur Erfrischung so ausgedacht haben: Es folgt Sesselrütteln, musikalischer Taktwechsel, Ambientebeleuchtung und Klimatisierung drehen in den blauen Bereich.

Nette Spielchen, die auch der Stuttgarter Gegenspieler beherrscht. Ob das MBUX genannte Mercedes-Interface wirklich verständiger ist, konnten wir nicht restlos klären, auch dort kann man sich mit Spracheingaben wunderbar verzetteln, sodass man sein Navi-Ziel oder den gewünschten Sender am Ende doch mit der Hand eingibt. In der manuellen Eingabe für Wünsche aller Art ist das BMW-System mit seinem Dreh-, Drück- und Schieberädchen jedenfalls überlegen. Daran ändert auch die Überfrachtung des Mercedes-Lenkrads mit gleich mehreren Ebenen an Tasten nichts. Das Ablenken der Blicke in diesen Nahbereich, weg von der Straße, ist kein Fortschritt. Wir werden demnächst sehen, ob man in der neuen S-Klasse zu einem rundum stimmigen System zur Verwaltung der zahllosen Einstellungen an Bord gefunden hat.

Dennoch fällt die runderneuerte E-Klasse nicht zurück, was die Begehrlichkeit angeht. Äußerst stilvoll – um nicht zu sagen stylish – ist das feine Cockpit ausstaffiert, und es wirkt moderner als im BMW. Auch äußerlich hat Mercedes an den richtigen Stellen nachgeschärft.

Das Schubpotenzial des Antriebs ist sogar noch präsenter als im 640d. Das Bewusstsein, eigentlich in einem Muscle Car zu sitzen, legen nicht nur die Zahlen nahe, die in den Kennwerten Leistung und Drehmoment ident sind mit dem BMW. Noch schärfer scheint der Motor abgestimmt, noch lustvoller beißt er Sprints weg, auf dass es allen Mitreisenden schön den Magen aushebt, passend zur Powerdome genannten Schwellung der Motorhaube. Der Preis dafür ist ein guter Liter Mehrverbrauch zum 640d (wobei wir nicht das vollständige Fahrprogramm zur Ermittlung des Verbrauchs absolvieren konnten).

Mercedes hat ja gleichgezogen bei der Ausstattung des Motorraums und setzt mit der aktuellen Sechszylinder-Generation (wieder) auf Reihenbauweise, was nicht nur spürbar Antritt und Laufkultur zuträglich ist, sondern primär der Abgasreinigung.

Als Kombi trumpft er beim Laderaum auf, 640 bis maximal 1820 Liter sind ein stolzer Wert. Überraschend liegt der BMW nur knapp dahinter. Als Gran Turismo hat die 2017 von der 5er- zur 6er-Reihe geadelte Bauform ein recht enormes Ladevolumen (600-1800 Liter), ohne ein Kombi zu sein (es liegt sogar über jenem des Touring). Gran Turismo bedeutet zudem eine komfortablere, weniger strenge Abstimmung als ein vergleichbarer 5er. Man sollte prüfen, ob einem die softe, gänzlich widerstandsfreie Lenkung gefällt. Zur Art, wie man diese Wohlfühlzone auf Rädern bewegt, vorzugsweise ohne Drang und Eile, passt das aber durchaus.

Schnöde Lastentransporter sind jedenfalls beide nicht, schon preislich, mit dem 640d GT ab 83.800 Euro und dem E 400d T-Modell ab 80.310 Euro. Eher gut getarnte Luxus-Korvetten, leicht mit Reichweiten im Bereich der 1000 Kilometer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2020)

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