Porgy & Bess

Wie sich Jazz im leeren Saal anfühlt

Jazzkonzert in Zeiten der Pandemie: der „Presse“-Jazzkritiker im leeren Zuschauerraum.
Jazzkonzert in Zeiten der Pandemie: der „Presse“-Jazzkritiker im leeren Zuschauerraum.(c) Eckhardt Derschmidt
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Der Wiener Jazzclub veranstaltet Konzerte ohne Publikum, fürs Streaming. Der erfahrene Freejazzer David Murray spielte auch in diesem Rahmen hingebungsvoll.

Vorzugsweise sind es Zenbuddhisten und Philosophen der taoistischen Schule, die über die Leere grübeln. Musiker tun das weniger. Sie haben genug damit zu tun, die Stille, die ja auch eine Art Leerstelle ist, zu bemeistern. Dass sich allerdings während eines Konzerts vor ihnen Leere auftut, das ist für die meisten Musiker eine verstörende Erfahrung. Schon weil Livemusik vom Publikum mitgestaltet wird, ob es nun tost oder mucksmäuschenstill ist. Musiker spielen jedes Mal anders, auch weil sich Räume und Auditorien verändern. Das wirkt sich aufs Unbewusste und damit auf die Performance aus.

Heute, in Zeiten der Pandemie, spielen viele Musiker in leeren Sälen. Vom Konzerthaus bis zum Porgy & Bess bemüht man sich, mittels Streaming Fühlung zum Publikum zu halten. Adäquate Konzertsituation ist das keine. Kann man es überhaupt als Konzert betrachten, wenn Musiker in leeren Räumen in Kameras spielen? Ein musikalischer Kommunikationsversuch ist es immerhin. Und es wäre snobistisch, diese Form zu negieren. Auch weil viele Musiker im neunten Monat der Coronakrise in existenziell schwieriger Lage sind.

Feedback per Bezahlknopf

Christoph Huber, Leiter des Porgy & Bess, lässt schon seit Anfang April streamen. Die Musiker erhalten eine Gage und spielen in ein gefühltes Nichts, das allerdings zu Feedback in Form des betätigten Bezahlknopfs fähig ist. Das Publikum, teils aus fernen Ländern wie Israel und Island, nimmt diese Möglichkeit der Unterstützung auch wahr.

Der 65-jährige Saxofonist David Murray, ein Freejazz-Veteran, der in den letzten Jahren durch seine Hinwendung zur Nat-King-Cole-Balladen aufgefallen ist, zeigte keine Zeichen der Irritation, als er mit seinem Quartett in die gähnende Leere trat. Er begann vital mit dem seiner Mutter gewidmeten „Morning“. Bassist Wolfram Derschmidt und Schlagzeuger Dusan Novakov webten ein dichtes Rhythmusgeflecht, das Murrays oft rüde Klänge noch erratischer machte. „Spoonin'“ lockte dann in südamerikanische Gefilde. Bei diesem sonnensatten Jazz-Rumba spielte Posaunist Paul Zauner ein überraschend weihnachtlich klingendes Solo. Solch zarte Töne hört man nicht oft von ihm. Jetzt wippten die Beine der zwei im Saal befindlichen Musikjournalisten. Murrays Freundin tanzte gar. Und beim Zwischenapplaus halfen Tontechniker und Fotograf mit . . .

Oft dauern solche für den Stream bestimmte Darbietungen nur eine Stunde. Nicht bei Murray. Hoch konzentriert lieferte er 105 Minuten feinste Musik ab. Scherzhafterweise kündigte er das bisher unbekannte Genre „Acoustic Octo-Funk“, an. Tiefseeforscher Jacques Cousteau habe es erfunden, murmelte er und entriegelte auf der Bassklarinette verwegene Unterwassersounds.

Zwecks Dramaturgie ergriff Maitre Huber kurz vor Ende das Mikro und erzählte, dass nur ins Porgy gebuchte Indiepopbands wie Naked Cameo in diesen Tagen absagen. Gestandene Jazzer, meinte er, kommen verlässlich, auch wenn's regnet. Und dann kamen die Musiker für „Flowers for Albert“ zurück, ein sanft pulsierendes Stück von Murrays Debütalbum von 1976. Schon damals rang er zwischen Struktur und Freiheit in der Musik. Dieses Ringen dauert für einen wie ihn das ganze Leben, Virus hin oder her.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2020)

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