Das lesende Plastikschaf

Briefe an Amalia: Als Dein Finger in einem Loch stecken blieb – Dein Klinikbesuch.

Als Deine Mutter mit Dir in Nürnberg aus dem Zug stieg, schliefst Du. Du sahst ramponiert aus: Vom Haaransatz bis zu den Augenbrauen prangte eine große rote Schürfwunde auf Deiner Stirn. Am Vortag warst Du in Berlin gestürzt. Ich hatte Dich zwei lange Wochen nicht gesehen. In der Parkgarage erwachtest Du. Ich sah die Freude in Deinem Gesicht, als Du mich sahst. Ich durfte nicht losfahren. Du wolltest zu mir. Ich saß auf dem Fahrersitz und hielt Dich fest. Vorm Fenster war eine graue Wand.

Nach einer Weile fuhren wir los – zur Kinderklinik. Im Zug war Dein linker Zeigefinger in einem Loch stecken geblieben, Du warst weitergegangen. Sie habe Dich noch nie so schreien gehört, sagte Deine mitgenommene Mutter. Der Finger war angeschwollen. Hinter dem Eingang zur Klinik saß ein junger Mann mit Maske. Von hier an durfte nur eine Person weiter. Deiner Mutter wurde an der Stirn die Temperatur gemessen, ehe sie sich in die Schlange einreihte. Ich stellte mich mit Dir vor ein Aquarium mit bunten Fischen und dunklen Putzern, die Du aufmerksam betrachtetest und anzutippen versuchtest, wobei es Dich irritierte, dass sie davon unbeeindruckt blieben.

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