Gastkommentar

Politischer Islam: Ein Begriff, der polarisiert

Es geht nicht um die politischen Partizipation von Muslimen in einer Demokratie - sondern um den Versuch, Andersdenkende auszugrenzen, zu verleumden und zu vernichten.

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Ein Begriff macht die Runde und er polarisiert: der politische Islam. Eine Seite sieht in ihm eine Dämonisierung von Muslimen, die andere Seite möchte bestimmte Entwicklungen und Phänomene begrifflich (er)fassen, die einer genaueren Betrachtung bedürfen. Sich zu diesem Thema zu äußern führt derzeit dazu, sich den Unmut der einen oder anderen Seite zuzuziehen. Ähnliche Diskussionen gab es in der Vergangenheit auch bei Bezeichnungen wie Salafismus, Islamismus, Wahhabismus, Dschihadismus oder Islamophobie.

In der Fachliteratur findet sich der politische Islam immer wieder. Der Politologe Harald Wydra führ dazu aus: „Im Wesentlichen ist politischer Islam eine Erfindung moderner Fundamentalisten, praktisch undenkbar vor dem Zerfall des Osmanischen Reiches und somit erst seit den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts ein Begriff.“ Ziel war die Wiederbelebung des Islams auf der Grundlage der Altvorderen (Salaf) und die fundamentale Reinigung der Religion von schädlichen Neuerungen (Bida) und ein zentralistisch geführter, transnationaler islamischer Staat, der die Gemeinschaft der Muslime (Umma) vereinigen sollte.

Ausgrenzungstheologie

Professor Rüdiger Lohlker gilt wohl als der renommierteste Islamwissenschaftler auf dem Gebiet des religiösen Extremismus in Österreich. In einer seiner Publikationen über den Salafismus beschreibt er beispielsweise die Sahwa in Saudi-Arabien als eine Strömung, die eine „Art politischen Islam saudischer Art darstellt, beeinflusst von Muslimbrüdern in Saudi-Arabien.“ Bezogen auf Europa erfahren wir, dass salafistische Strömungen in Europa und ihre ablehnende und feindselige Haltung gegen den Westen, zu dieser Zeit erfolgreich sein konnten, beruhend auf dem „Scheitern des politischen Islams- sprich: der Muslimbrüder – in Europa.“ Über diese sagte er erst kürzlich in einem Interview in den Salzburger Nachrichten, die Muslimbruderschaft zeichne sich wie der Salafismus durch eine „Ausgrenzungstheologie“ aus. Schon vor einem Jahrzehnt hat der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger sich in seinem „Handbuch des Politischen Islam“ mit diesem Phänomen auseinandergesetzt.

Und Farid Hafez merkte in einem Interview an, der „politische Islam ist tot“, da er ein erfolgloses Konzept des 20. Jahrhunderts sei.

Legalistischer und gewaltbereiter Extremismus

In der Diskussion wird dabei die Benutzung des Begriffs „Politischer Islam“ von den Professoren Rohe, Lohlker und sogar vom Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz in Nordrheinwestfalen, Burkhard Freier, als zu unscharf gesehen. Einerseits weil er im politischen Diskurs eine andere Wirkung entfaltet als in der wissenschaftlichen Analyse des dazugehörigen Phänomens. Andererseits will Freier für verfassungsfeindliche Varianten, die strafrechtlich nicht belangbar sind und mit der „Maske der Demokraten“ daherkommen, den Begriff „Legalistischer Islamismus“ verwenden.

Der Verfassungsschutzchef sagt: „Wir gehen davon aus, dass der legalistische Islamismus langfristig gefährlicher ist als der gewaltbereite Extremismus“.

Offensichtlich versucht man mit verschiedenen Begriffen Phänomene, Gruppen und einzelne Akteure zu beschreiben, welche gestützt auf (angeblich) religiöse Grundlagen, eine antidemokratische und antipluralistische Ideologie propagieren und ein darauf beruhendes System errichten wollen. Die einen mit Gewalt als Methode, die anderen, indem sie das System sozusagen unterwandern und ihre eigentlichen Absichten verbergen.

Die als Terroristen strafrechtlich dingfest zu machenden Täter können Gruppen oder Einzelpersonen zugeordnet werden, die auf der UN- oder EU-Terrorliste zu finden sind.

In einer extremen Variante gilt die Ablehnung des Taghut als Voraussetzung, damit das Bekenntnis zum Monotheismus Gültigkeit hat. Der Taghut ist der Teufel oder jemand der mit von Menschen gemachten Gesetzen regiert oder die Gesetze Gottes abändert. Davon abgeleitete politische Systeme sind abzulehnen und zu bekämpfen. Von Sayyid Qutb, einem radikalisierten Muslimbruder, bis zu einem ehemaligen Vordenker des Islamischen Staates im Irak, al-Maqdisi, spinnen sich diese Ideen. Bei den meisten wegen des „Terrorparagraphen“ verurteilten Personen, ist das die grundlegende Überzeugung. Das Ziel ist ein islamischer Staat, basierend auf den Gesetzen Gottes. Dafür muss der innere Feind (alle andersdenkenden Muslime) und der äußere Feind (die Nichtmuslime) bekämpft werden.

Der transnationale islamische Staat

Gemeinsam ist dem legalistischen und dem gewalttätigen Islamismus das Streben nach einer uniformen Gesellschaft und ein Staatssystem, das nach den Vorstellungen ihrer Gruppenideologien errichtet werden soll. Das ist am Ende alternativlos. Gleichzeitig sind diese islamistischen Gruppierungen untereinander bis auf den Tod verfeindet, erheben aber den exklusiven Anspruch, die wahren Muslime zu sein und auch für diese zu sprechen. Andersdenkende werden sozial geächtet, an den elektronischen Pranger gestellt, verleumdet und in den extremen Variationen vernichtet. Gemeinsam ist ihnen auch die Arroganz, ein überraschendes überbordendes Selbstbewusstsein, Gruppenchauvinismus und die Verachtung andersdenkender Menschen, Muslime oder Nichtmuslime. Was sie unterscheidet sind ihre Methoden, um dieses Ziel zu erreichen.

Wobei sich am Ende wohl alle einig sind ist, nicht die politische Partizipation von Menschen mit muslimischem Hintergrund in einer demokratischen Gesellschaftssystem wird abgelehnt, sondern der Versuch oder Wunsch von radikalen und extremistischen Kräften, eben dieses mit Gewalt oder subtil zu zerstören und Andersdenkende auszugrenzen, zu verleumden und am Ende zu vernichten.

Moussa Al-Hassan Diaw forscht und publiziert unter anderem zum Thema religiöser Extremismus und hat zwei Studien zu Radikalisierung für das BMEIA und BMI verfasst. Er war Vortragender bei internationalen Organisationen wie der UNODC, UNDP, OSCE, IFRI Paris und dem Chatham House London. Er dozierte unter anderem an der Universität Osnabrück und ist Mitarbeiter an der Universität Münster. Er ist Mitbegründer der NGO „DERAD – Extremismusprävention“

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