Flüchtlinge

"Camp der Schande" auf den Kanaren aufgelöst

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SPAIN-EUROPE-MIGRANTSAPA/AFP/DESIREE MARTIN
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Bislang landeten 2020 19.000 Bootsflüchtlinge aus Afrika auf den spanischen Inseln. Lokalpolitiker fordern eine langfristige Lösung für die Situation.

Seit Wochen protestierten Bürger, Menschenrechtsorganisationen und Regionalpolitiker gegen die unmenschlichen Zustände im Flüchtlingsaufnahmelager auf der Hafenmole in Arguineguin im Süden Gran Canarias. Am Sonntagabend wurde das bereits als "Camp der Schande" bekannte Lager nun aufgelöst. Die letzten 27 Geflüchteten wurden in provisorische Unterkünfte einer Militäranlage auf der Kanareninsel verlegt.

Mit dem im Sommer einsetzenden Flüchtlingsansturm auf die Kanaren errichtete das Rote Kreuz das Erstaufnahmelager Mitte August. Eigentlich sollten hier provisorisch die plötzlich ankommenden Tausenden afrikanischen Bootsflüchtlinge behandelt und auf Covid-19 getestet werden. Doch der Flüchtlingsstrom riss nicht ab. Täglich waren es teilweise bis zu 300 Flüchtlinge, die vor allem aus Marokko, Mali, Mauretanien und dem Senegal auf der spanischen Urlaubsinsel vor der Küste Westafrikas landeten.

2600 statt 500 Personen untergebracht

In dem für maximal 500 Personen konzipierten Camp auf der Hafenmole in Arguineguin mussten streckenweise bis zu 2600 Personen untergebracht werden. Die Menschen erhielten tagelang nur belegte Brötchen und Wasser, mussten unter freiem Himmel auf dem Boden schlafen, bestätigte der Notfall-Einsatzleiter des Roten Kreuzes, Jose Antonio Rodriguez.

"Die Auflösung des Lagers ist eine gute Nachricht. Hier wurden Menschenrechte verletzt. Dennoch ist das Problem damit nicht gelöst. Die Flüchtlinge in nahen Hotels oder provisorischen Zeltcamps in Militäreinrichtungen unterzubringen, kann nur eine Übergangslösung sein", erklärte Onalia Bueno, Bürgermeisterin von Arguineguin. Auch Angel Victor Torres, Regionalpräsident der Kanarischen Inseln, begrüßte die Auflösung des Lagers, forderte die Zentralregierung von Ministerpräsidenten Pedro Sanchez am Montag jedoch erneut auf, die Kanaren nicht mit dem Flüchtlingsproblem alleine zu lassen und einen Großteil der Migranten aufs Festland zu bringen.

„Eine Schande für Spanien und Europa“ 

Schon seit Wochen protestierten die Regionalregierung wie die Bürgermeisterin von Arguineguin gegen die Zustände in dem Flüchtlingsaufnahmelager. Auch NGO wie Human Rigths Watch, Amnesty International und die spanische Flüchtlingsorganisation Cear forderten regelmäßig die sofortige Schließung des Camps. Der hohe Migrationsdruck führte bereits zu sozialen Spannung in der Ortschaft. Es gab mehrere Protestkundgebungen. "Die sanitären und hygienischen Verhältnisse sowie die Unterbringung der Menschen waren eine Schande für Spanien und Europa", erklärte Cear-Sprecher Jose Maria Santana.

Insgesamt fünf spanische Minister und Regierungschef Pedro Sanchez besuchten Gran Canaria, nachdem das Camp auch in der Presse in den Mittelpunkt der nationalen Berichterstattung geriet. Sie versprachen Abhilfe, obwohl danach wochenlang nichts passierte. Innenminister Fernando Grande-Marlaska besuchte seinen Amtskollegen Abdelouafi Laftit in Rabat, um die marokkanische Regierung erneut zur schnellen Rückführungen der mehrheitlich marokkanischen Bootsflüchtlinge zu bewegen. Gleichzeitig machte sich Außenministerin Arancha Gonzalez-Laya im Senegal für gleiche Forderungen stark. Spanien hat mit verschiedenen westafrikanischen Ländern Rückführungsabkommen von Flüchtlingen geschlossen. Diese wurden jedoch aufgrund der Grenzschließungen im Zuge der Coronapandemie ausgesetzt und provozierten unter anderem den großen Flüchtlingsansturm auf den Kanaren.

Migranten werden nicht auf Festland gebracht

Dennoch lehnt die spanische Zentralregierung es weiterhin ab, die Migranten aufs spanische Festland zu bringen, weil sie eine Sogwirkung für weitere Bootsflüchtlinge befürchtet. "Man will die Kanaren zu einem zweiten Lesbos machen, zu Gefängnisinseln, damit die Flüchtlinge fernbleiben", ärgerte sich Antonio Morales, Regierungschef von Gran Canaria.

Da die Mittelmeerrouten derzeit gut überwacht sind und die Coronapandemie die Armut in vielen westafrikanischen Ländern verschlimmert, reißt der Flüchtlingsstrom auf den zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln vor der Küste Westafrikas nicht ab. 19.000 Menschen erreichten in diesem Jahr bereits die Kanaren, 1000 Prozent mehr als im Vorjahr. Dabei gehört die Flüchtlingsroute über den Atlantik zu den gefährlichsten nach Europa. Die Flüchtlingsagentur der Vereinten Nationen, Acnur, schätzt, dass in diesem Jahr mindestens 600 Flüchtlinge beim Versuch gestorben sind, die Kanaren und damit Europa zu erreichen. Flüchtlingsorganisationen gehen von über 3000 aus. Die realen Zahlen kennt niemand. Laut der Internationalen Organisation für Migration stirbt auf der Atlantikroute schätzungsweise jeder 16. Flüchtling.

Die meisten Bootsflüchtlinge wissen nichts von den Gefahren. Und so dürfte der Flüchtlingsstrom auch in den kommenden Monaten wohl kaum abreißen, befürchtet die Inselregierung. "Wir schätzen, dass derzeit rund 100.000 abfahrbereite Menschen an der westafrikanischen Küste auf eine Gelegenheit warten, zu uns überzusetzen", erklärte Froilán Rodríguez, Immigrationsbeauftragter der kanarischen Regierung, laut der spanischen Presseagentur Europapress.

(APA)

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